Robert Schumann: Genoveva.

Live from the Zurich Opera House, 2008.
Juliane Banse, Shawn Mathey, Martin Ganter, Cornelia Kallisch, Alfred Muff.
Nikolaus Harnoncourt, Conductor. Martin Kusej, Stage Director.
Orchestra and Chorus of the Zurich Opera House.
DVD Arthaus 101 327 (Gramola), 2008


Mit zahlreichen bemerkenswerten Interpretationen diverser Werke Robert Schumanns trat Nikolaus Harnoncourt in den letzten Jahren an die Öffentlichkeit. Unter seiner musikalischen Leitung und in der Inszenierung von Martin Kusej fand nun am 17. Februar 2008 im Opernhaus Zürich die viel beachtete Premiere von Robert Schumanns einziger Oper Genoveva op. 81 statt. Äußerungen wie „undramatisch”, „krude Story”, „unzeitgemäßer Inhalt” sorgten dafür, dass dieses Werk fast vollständig aus dem Veranstaltungsplan der Opernhäuser gestrichen wurde.

Umso bedauerlicher insofern, als Schumann doch gerade damit die deutsche Oper reformieren wollte! Umso erfreulicher, dass die Zürcher Inszenierung jetzt auch als Livemitschnitt auf DVD vorliegt. Mithin kann sich jeder selbst davon überzeugen, ob Schumanns Genoveva zurecht unaufgeführt blieb oder ob es sich nicht doch um ein bedeutendes musikalisches Meisterwerk handelt. Nikolaus Harnoncourt jedenfalls, der die Oper bereits 1996 auf CD einspielte, äußerte damals, „dass Genoveva ein Kunstwerk ist, für das man auf die Barrikaden gehen muss”.

Uneingeschränkt stimmt man dem in musikalischer Hinsicht zu. Ungeheuer progressiv wirkt die Ouvertüre auch noch über 150 Jahre nach ihrer Entstehung. Grelle Dissonanzen, schrille Intonationen, extreme Stimmführungen und eine kühne Instrumentation heben die Musik aus jedweder biedermeierlicher Betulichkeit. Die Inszenierung „füllt” die Ouvertüre mit der Vorstellung der vier Hauptdarsteller Siegfried, Genoveva, Golo und Margaretha auf der Bühne. Eine nette Idee zwar, aber man hätte die Musik durchaus -- wie von Schumann vorgesehen -- für sich alleine wirken lassen können. Generell fällt den musikalischen Formen und der motivischen Arbeit eine entscheidende Rolle in der gesamten Oper zu. Eine im gewohnten Sinn dramatische Handlung tritt dem gegenüber in den Hintergrund. Die seinerzeit sehr populäre Legende von der „heiligen” Genoveva und deren bewusst schlicht gehaltene Handlung bilden vielmehr die Basis für ein adäquates Verständnis der Musik. Als tiefen Blick in das Innerste der Seele fassen Harnoncourt und Kusej dies auf. Eine durch die Musik evozierte und nach innen gerichtete psychologische Ausdeutung der Figuren ergibt sich daraus.

Als Opernteam haben Harnoncourt und Kusej seinerzeit die Ära Peter Ruzickas bei den Salzburger Festspielen entscheidend geprägt und aufgewertet. Mit ihrer Inszenierung der Genoveva stellen sie jetzt erneut die Qualität ihrer Zusammenarbeit unter Beweis. Kusej verlegt die von Schumann nach Motiven von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel erstellte romantische Rittergeschichte in dessen Zeit, ins Umfeld der revolutionären Ereignisse des Jahres 1848. Pfalzgräfin Genoveva von Brabant führt, während ihr Mann Pfalzgraf Siegfried gegen die Mauren in den Krieg zieht, daheim einen lupenreinen Lebenswandel. An ihrer Treue ist nicht zu rütteln. Dies allerdings versucht Golo, der sie eigentlich beschützen soll. Jedoch ohne Erfolg. Aufgestachelt durch die der schwarzen Magie zuwandten Margaretha, entwickelt er daraufhin hasserfüllte Rachepläne. Er bugsiert den ahnungslosen Haushofmeister Drago in Genovevas Schlafgemach und sorgt für dessen rasche Entdeckung. Genoveva wird in den Kerker geworfen und erst unmittelbar vor ihrer Hinrichtung durch ihren Mann gerettet.

Bühnenbildner Rolf Glitterberg zeigt zwei deutlich getrennte Welten auf der Bühne: die schneeweiße, beinahe erschreckend helle innere und eine äußere von undurchdringlichem Dunkel und scheinbar ohne Grenzen. Die Innenwelt ist ausschließlich den vier Hauptfiguren vorbehalten, alle anderen gehören zur zweiten Welt. Nur wenige Requisiten sind auf der Bühne. Waschbecken, „Zauber”-Spiegel, Sessel und Tür werden auf unterschiedlichste Weise von den Protagonisten benutzt. Deren Kleidung ist entsprechend in schwarzen und weißen Tönen gehalten (Kostüme: Heidi Hackl). Kusej gestaltet in dieser Kargheit das von Schumann musikalisch sensibel skizzierte Seelendrama und stellt die Figuren als Symbole innerer Zerrüttung, unausgesprochener Wünsche und verdrängter Sehnsüchte dar. Diese Ausdeutung hätte sich dem Zuschauer auch ohne die doch recht plakative Schwarz-Weiß-Malerei offenbart. Störend wirken darüber hinaus die entsprechend der Dramatik zunehmenden Schmierereien aus Blut und Schmutz auf Personen und Requisiten. Ob sie wirklich erforderlich sind, sei dahingestellt. Spürbar wird die Seelenlage allein durch Harnoncourts überaus intelligente Deutung der Musik.

Auf hohem Niveau und voll packender Intensität musiziert das Orchester. Das beeindruckende Klangbild wird ergänzt durch die von Ernst Raffelsberger tadellos vorbereiteten Chöre, die aus dem schwarzen Off singen. Konzentriert folgen die Solisten den besonderen Anforderungen dieser außergewöhnlichen Inszenierung. Allen voran besticht Juliane Banse, die der Titelpartie in den liedhaft-schlichten Melodien Klarheit, in lyrischen Momenten anrührende Innigkeit und strahlende Leuchtkraft wo nötig verleiht. Martin Gantner als ihr vermeintlich gehörnter Ehemann Siegfried fällt dem gegenüber trotz baritonaler Gradlinigkeit ein wenig ab. Hier hätte man sich eine profilierte Gestaltung gewünscht. Überzeugend Shwan Mathey als böser, abgewiesener Möchtegernliebhaber Golo, der insbesondere die innere Zerrissenheit der Figur sängerisch herausstreicht. Stimmlich furios und boshaft-dunkel getönt singt Cornelia Kallisch die Margaretha. Geradezu glänzend Alfred Muff als angeblicher Ehebrecher Drago. Den Vorwurf der mangelnden Dramatik konnten Dirigent und Regisseur in jedem Fall entkräften. Nicht zuletzt trägt auch die Kameraführung entscheidend dazu bei, dass sich Schumanns Oper dank dieser DVD intensivst und zu Herzen gehend erleben lässt. Mehr als eine Ehrenrettung der Genoveva liegt mit dieser DVD vor, die sich der Schumann- und Opernfreund mehr als einmal ansehen wird:

Ein aufregendes Stück Musikgeschichte, das man sich so ins heimische Wohnzimmer holen kann.

Die von uns eingesetzten und einsetzbaren Cookies stellen wir Ihnen unter dem Link Cookie-Einstellungen in der Datenschutzerklärung vor. Voreingestellt werden nur zulässige Cookies, für die wir keine Einwilligung benötigen. Weiteren funktionellen Cookies können Sie gesondert in den Cookie-Einstellungen oder durch Bestätigung des Buttons "Akzeptieren" zustimmen.

Verweigern
Akzeptieren
Mehr