Schumannomanie
Schumannomanie
Als Konzertbegleiter von Hermann Prey startete Florian Uhlig seine Karriere, nun macht der Pianist mit einer Gesamtaufnahme der Klaviermusik von Robert Schumann von sich reden.
Kai Luehrs-Kaiser traf in bei einer Schumann-Uraufführung in Berlin.
Zwei Schumann-Uraufführungen im Kaufhaus?! Dass sich ausgerechnet der als hartes Pflaster geltende Berliner Konzertmarkt zwei späte Klavier-Premieren Robert Schumanns, gespielt von Florian Uhlig, von einem Kulturkaufhaus in der Friedrichstraße wegschnappen lassen würde, war nicht zu erwarten. Es sagt etwas aus über den diesjährigen Jubilar Schumann. Und über unser Verhältnis zu ihm.
Zwar haben sämtliche CD-Majors ihre Schumann-Lager pünktlich zum 200. Geburtstag des Komponisten ausgemistet und in Billigboxen entsorgt. Schumann ist zum Objekt für Schnäppchenjäger geworden. Dass es immer noch Werke gibt, die nicht aufgeführt wurden – und dies kaum jemand merkt –, spricht dafür, wie sehr wir uns an eine „romantische“ Wahrnehmung Schumanns gewöhnt haben. Also daran, seine Werke nicht als Entwürfe zu einem in sich absoluten Ganzen und Gesamten, sondern als einzelne Juwelen zu betrachten, die wir nach Gutdünken aus dem Schatzkästlein herausnehmen können.
Erst jetzt, nachdem Schumanns 200. Geburtstag begangen ist, startet erstmals eine Präsentation des pianistischen Gesamtwerks dieses Komponisten (in 15 CDs, geplant bis 2017). Auf deren erster sind auch die in Berlin uraufgeführten Entwürfe enthalten. Bei der Romanze f-Moll handelt es sich um eine dreieinhalbminütige, lyrisch-dunkelnde Vorstudie zum Concert sans Orchestre f-Moll op. 14. Das fünfeinhalbminütige Presto possibile, gleichfalls in f-Moll, ist eine unvollständig gebliebene Fassung des Finalsatzes. Vier Takte wurden von dem Schumann-Forscher Joachim Draheim und Florian Uhlig ergänzt. Auch in der zugleich süffig und ernst gestalteten C-Dur-Fantasie op. 17 empfiehlt sich Uhlig als vorzüglicher Musik-Kommunikator dieser hochinteressanten Edition.
Der Pianist freilich will am liebsten ganz hinter seinem Objekt verschwinden. Der 1974 in Düsseldorf geborene, in London lebende Florian Uhlig gab mit zwölf Jahren sein erstes Konzert. Als Klavierbegleiter von Hermann Prey wurde er nachhaltig für den Konzertbetrieb gewonnen. Seine Solo-CD mit Beethoven-Variationen ebenso wie ein „Venezia“-Album (mit Werken von Ignace Gibsone, Johann Joseph Albert, Benedetto Marcello, Chopin und Liszt) folgt durchaus jener kontextbildenden Konzertdramaturgie, wie sie in Liederabenden Preys hätte vorkommen können. Jedenfalls wird die Inspiration durch den Bariton, der kurz nach der Zusammenarbeit starb, von Uhlig selber als die stärkste Inspiration gewertet.
Große, treue Rehaugen blicken von den Titelbildern seiner CDs. Im Gespräch gibt sich Uhlig – eines mit den Jahren noch stärker ausgeprägten Schwiegersohn-Appeals unerachtet – alles andere als träumerisch. Das Klavier sei ein „einsames Möbel“, aber gerade darum bemühe er sich um die „gattungstechnische Verklammerung“ der Werke untereinander. „Warum wird das alles nicht gespielt?“, habe er sich mit Blick auf unbekanntes Repertoire immer wieder gefragt, seit er sein Studium in Dortmund (bei Roland Pröll) beendete.
In London komplettierte Uhlig seine Ausbildung am Royal College of Music und an der Royal Academy; unter anderen bei Peter Feuchtwanger, einem Schüller von Edwin Fischer und Walter Gieseking sowie Bewunderer Clara Haskils. Gleich diesen ist Uhlig musikalisch ein Barzahler ohne Blend- und Zuckerwerk. Aber doch einer, dem der locker genommene, didaktische Impetus stets anzumerken bleibt. Die lange Latte der Liszt-Bearbeitungen, die er sich erarbeitete, dient bei ihm nicht als Vorwand für virtuosen Funkenflug. Sondern bleibt als Klangrede im Sinne intellektueller Sinnstiftung erkennbar – und genießbar.
Nicht zufällig beschreibt er sich als „Schumannomane“. Auch wenn der Erz-Romantiker bei Ihlig immer eine Handschrift klassischer Vernunft behält. Das bekam auch der Moderator eingangs erwähnten Schumann-Uraufführungen zu spüren. Trotz hartnäckiger Nachfragen war selbst er dem rhetorischen Talent des Ausweichens durch Florian Uhlig kaum gewachsen (der auf Fragen nach ihm selber stets mit Angaben über Schumann antwortete). „Ich greife in die Kiste“: dieses Credo Uhligs lässt jedenfalls noch manches Ungewöhnliche erwarten. Verleitet durch eine 90-jährige alte Dame aus Südafrika, kuratiert Uhlig etwa seit 2008 in Johannesburg und Kapstadt ein eigenes Kammermusik-Festival. Als Lehrer wirkt er am Royal College und in Neuchatel.
Eine Bemerkung zum Schluss: So wie angeblich in Hollywood nur Platz für jeweils einen afroamerikanischen Filmstar ist, so scheint auch der Markt für Pianisten nur je einen deutschen Großinterpreten zu kennen. Lange Jahre nahm Alfred Brendel diese Rolle ein. Mit seinem Schumann-Großprojekt bringt sich Florian Uhlig für eine Nachfolgediskussion nachhaltiger ins Gespräch als so manch anderer. Man bedenke, dass CD-Editionen mit so langem Atem wie im Fall dieser Schumann-Expedition heute kaum mehr von den großen Labels, sondern nur noch von den Independents zu erwarten sind. Schumann sei Dank: Hier haben wir einen Kandidaten.
Aktuelle CDs
Robert Schumann – Sämtliche Klavierwerke Vol. 1: Schumann und die Sonate (Concert sans Orchestre f-Moll op. 14, Fantasie C-Dur op. 17, Scherzo f-Moll, Romanze f-Moll); Florian Uhlig;
Hänssler/Naxos CD 4010276023333
Robert Schumann – Sämtliche Werke für Klavier und Orchester: Abegg-Variationen, Klavierkonzert a-Moll op. 54, Konzertsatz d-Moll, Konzertstück op. 92, Introduktion und Allegro d-Moll op. 134; Florian Uhlig, Deutsche Radio-Philharmonie, Christoph Poppen;
Hänssler/Naxos CD 4010276023227
(erscheint voraussichtlich im Oktober)
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