Fortführung

Fono Forum, Mai 2011, S. 78

„Äußerst beweg“, „sehr lebhaft“, „sehr aufgeregt“, „sehr rasch“, nur einmal die Vortragsbezeichnung „sehr innig“. Dabei werden die Vortragsbezeichnungen durch die attributiven Zusätze „sehr“ und „äußerst“ noch ins Extrem gesteigert. Robert Schumann ging es in seiner „Kreisleriana“ um Grenzen des Ausdrucks. „Das Klavier“, so schreibt er 1838, „wird mir zu enge, ich höre bei meinen jetzigen Kompositionen eine Menge Sachen, die ich kaum andeuten kann.“ Das ist der Ausnahmezustand. Den vibrierenden Einkreisungen der berühmten „Kreisleriana“ tut dies keinen Abbruch. Alexander Lonquich aber entscheidet sich für die Urfassung, nicht für die „geglättete“ Version der gedruckten Fassung, die rund zehn Jahre später entstand. Aller Furor des ersten Ausdrucks ist hinübergerettet, wetterleuchtet inklusive aller Irriationen dadurch.

Diese Irritationen sind für heutige Komponisten wegweisend. „Schumann“, so schreibt der Oboist und Tonsetzer Neuer Musik Heinz Holliger, „ist der Komponist, der eigentlich fast immer im Zentrum war für mich.“ Tatsächlich denkt Holliger die Brüchigkeit Schumanns weiter. Lonquichs Flügel entspringen dabei auch suchend tastende und ungeheuer leuchtende Tongebilde. Harmonische Gewissheiten gibt es nicht. Schumanns Fragilität ist mit den verstörenden Mitteln Neuer Musik radikalisiert. Schon das Präludium von Holligers Partita eröffnet mit gewaltigen, gewalttätigen Akkorden. Emotionale Ausnahmesituationen ausmalend, andeutend. Aber Holliger geht es nie um blanke Entfesselungen, dafür bleibt er wunderbar strukturiert. Aber alle Form zerfällt: Bald muss Lonquich direkt in die Saiten greifen. Hier nimmt Holliger Schumanns Ausspruch – „Das Klavier wird mir zu enge“ – wörtlich!

Tilman Urbach

Schumann, Kreileriana; Holliger, Partita;
Alexander Lonquich (2008);
ECM/Universal CD 028947638261 (72’03’’)


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