Robert Schumann „Ich habe im Traum geweinet“.

Martin Demmler

Robert Schumann „Ich habe im Traum geweinet“.

Eine Biografie Reclam, Leipzig 2006
284 S., 19,90 €

Die Biografie erschien pünktlich zu Schumanns 150. Todestag. Doch in puncto biographisch-dokumentarischer Seriosität ist sie längst überholt. Zwar gibt es Positives, etwa bei der Verschränkung von Lebensstationen und Werkexkursen. Auch Anschaulichkeit ist dem Buch des Musikwissenschaftlers und anerkannten Rundfunkredakteurs für neue Musik Martin Demmler zu attestieren. Doch als Ganzes bleibt es problematisch, oberflächlich, irreführend – Kennern ein Ärgernis, Einsteigern nicht zu empfehlen.

Der erste Satz zeigt, wo es lang geht: „Das Leben Robert Schumanns ist die Geschichte eines grandiosen Scheiterns“. Klingt schick, wird aber einem Leben, dessen Resultat fesselnde Musik ist, nicht gerecht. Schumanns „spätes“ Schaffen wird – wie vor 1980 üblich – als schwach und uninspiriert abgetan. Lange haben Künstler und Wissenschaftler (auch Demmler in seiner Magisterarbeit!) gebraucht, um das Diktum vom krankheitsbelasteten schwachen „Spätwerk“ zu hinterfragen und durch differenziertere, neu fundierte Forschung zu ersetzen. Sicher ist es legitim, wenn irgendwann Gegenbewegungen zu euphorischer Spätwerk-Rehabilitation einsetzen. Doch da braucht man schlüssige Argumente, keine reaktivierten Uraltklischees.

Diese Spätwerk-Sicht ist charakteristisch für das ganze Buch, das die 1997 bei Reclam erschienene Schumann-Monographie von Günther Spies weder ersetzt noch erreicht: Da zeichnet Demmler Schumann als Alkoholiker (à la Fischer-Dieskaus Schumann-Buch von 1981), latent homosexuell (wie in Weissweilers fragwürdiger Clara-Schumann-Biographie von 1990) und in krisengeschüttelter Ehe mit Clara. Doch hinter dem moralisierenden Unterton seiner Spekulationen stecken Spießertum und (beim Groschenroman-Klischee konfliktfreier Partnerschaft) Kitsch. Ähnlich ärgerlich sind gravierende fachliche Defizite. Demmlers Werkliste und –kommentare entsprechen nicht dem Stand der Forschung: Margit McCorkles Anfang 2003 erschienenes großes Werkverzeichnis bleibt unberücksichtigt – blamabel im Jahre 2006! Blamabel sind auch viele alte und neue Fehler: Falsche Anzahl der Kinderszenen (S. 88), Fehlzuordnung des Zitats vom „einzigen Herzensschrei“ (S. 70; nicht fis-, sondern f-Moll-Sonate ist gemeint!), Ungereimtes zum Liederkreis op. 39 (S. 106) sind nur die Spitze des Müllberges (Fehlerliste gegen Gebühr beim Rezensenten erhältlich). Der schrillste Fehler ist aus Peter Härtlings Schumann-Roman geborgt: Demmler behauptet, Schumann habe „1000 Flaschen Rotwein“ für die Hochzeitsfeier geordert (S. 111). Das wäre in der Tat ein Alkoholiker-Symptom – wenn es nicht ein Symptom für Demmlers schlechte Recherche wäre: Schumanns Tagebuch vermerkt nämlich – kein Wunder bei Haushaltsgründung, Umzug und Hochzeit – „1000 Fl. Rheinisch“, also die Einlösung eines Wertpapiers über 1000 rheinische Florin (= Gulden). Dumm gelaufen! Lektüre-Fazit: „Ich hab vor Frust geweinet.“

Michael Struck
Erschienen in: Das Orchester, 2006, Heft 9, S.83

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