Kreisleriana – Nahtstellen
Die Tonkunst
Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft
April 2007, Nr. 2, Jg. 1 (2007, Seite 163-164
Meike Becker-Adden
Nahtstellen. Strukturelle Analogien der ‚Kreisleriana’ von E.T.A. Hoffmann und Robert Schumann
Bielefeld: [transcript] Kultur und Medientheorie, 2006
Wozu?
Eine einfache (unnötige?) Frage vorneweg: Wozu schreibt man eigentlich ein Buch?
Doch wohl, damit es gelesen wird (wie banal!). Und wahrscheinlich hat der Autor (die Autorin) es auch gerne, wenn möglichst viele Menschen sein (ihr) Werk lesen?! Das gilt für Belletristik wie für Sachbücher. Aber sind Dissertationen ein Sonderfall? Ist das Ergebnis der Arbeit nur einer begrenzten Wissenschafts-Community vorbehalten? Nein, Dissertationen sind auch ganz normale Sachbücher, die allerdings den Anspruch erheben, das Thema des Buches besonders intensiv wissenschaftlich beackert zu haben. Hier nun soll ein Umstand festgehalten werden, der in den letzten Jahren häufig beobachtet werden kann. Immer mehr Dissertationen, so auch das vorliegende Buch »Nahtstellen – Strukturelle Analogien der ›Kreisleriana‹ von E.T.A.
Hoffmann und Robert Schumann« von Meike Becker-Adden, verzichten auf Register. Wie soll man sich ohne dieses Hilfsmittel schnell informieren? Bei einem Sachbuch sind sie eine conditio sine qua non. Ein Literaturverzeichnis allein genügt nicht, zumal wenn, wie im vorliegenden Buch, eine weitere ›Unsitte‹ festgestellt werden kann: Zitate werden nicht mehr aus der Quelle ›geschöpft‹, sondern man geht den bequemen Weg mit: »zitiert in«. Ist wissenschaftlich eigentlich nicht mehr der Grundsatz ›ad fontes‹ gefragt? In dem vorliegenden Buch wird es besonders ärgerlich, wenn die Originalquellen nicht herangezogen werden, die ganz leicht in jeder wissenschaftlichen Bibliothek gefunden werden können, so beispielsweise die »Neue Zeitschrift für Musik« (S. 30, Fußnote 19; S. 33, Fußnote 30), die Tagebücher Schumanns (S. 25, Fußnote 10, S. 30, Fußnote 22), Schumanns »Gesammelte Schriften« (S. 48, Fußnote 31, wobei sehr unlogisch ist, dass sechs Fußnoten weiter Kreisigs Ausgabe des Buches zitiert wird!), Schumanns Briefwechsel, kritische Ausgabe (S. 74, Fußnote 70 – ganz typisch, was hier passiert: die Seitenangabe lautet »S. 367f.«, dabei steht das Zitat nur auf Seite 367), Richard Wagners »Gesammelte Schriften« (S. 46, Fußnote 22), usw.
Genug der ›Beckmesserei‹ (?), merkwürdig ist nur, dass Becker-Adden dieses Verfahren bei Hoffmanns Quellen fast niemals anwendet. Vor dem Leser werden in diesem Buch zudem so viele Hürden aufgetürmt, dass wohl nur wenige ›Eingeweihte‹ von den Ergebnissen profitieren können, wenn sie sich durch das Buch ›gequält‹ haben – schade, sehr schade!
Beispiele gefällig? Wie soll man solcher Sprache als Leser begegnen: »Die genotextuelle Analyse […] soll aufgrund der Sprachphilosophie Julia Kristevas eine Bestimmung der chora-Lust innerhalb des Konzepts eines Kreislerianums ermöglichen […]« S. 13). Auch bei der strukturellen Anlage des Buches sind nur Spezialisten gefragt, denn ihm liegt fast ausschließlich eine interdisziplinäre komparatistische Forschungsrichtung zugrunde. Dabei klingt die erste Überschrift noch einladend: Teil I »Die Thematisierung von Kunst und Künstlertum in E.T.A. Hoffmanns Kreisleriana und dem Roman Lebens-Ansichten des Katers Murr«; aber mit zunehmend fortschreitenden Kapiteln wirken schon die Überschriften abschreckender: Teil II »Die wechselseitige Widerspiegelung der Künste: Mimesis im Konzept des Kreislerianums bei E.T.A. Hoffmann und Robert Schumann«; Teil III: »Analogien auf der Ebene der Tiefenstruktur«.
Am meisten Gewinn zieht der Leser aus dem Kapitel I und II; dort entwickelt Becker-Adden einen umfangreichen Überblick über die Forschungslage der Inhalte (Künstlerbegriff der Romantik) und spart auch nicht mit Untermauerung ihrer Inhalte durch musikwissenschaftliche Koryphäen wie Dahlhaus, Eggebrecht, Floros und ihres Doktorvaters Martin Geck. Ob allerdings das fast ausschließliche Heranziehen der Schumann-Biographie von Barbara Meier ein Glücksgriff war, sei dahingestellt. Geradezu ›mager‹ ist das Ergebnis des Kapitels III (»Analogien auf der Ebene der Oberflächenstruktur«). Trotz Einsatz von Notenbeispielen, die tatsächlich auf den Seiten 135ff. im Unterkapitel »Intertextualität« bedenkenswerte Bezüge innerhalb von Werken Schumanns und zwischen den Werken Bachs und Schumanns auflisten, erfahren wir eigentlich nur, was wir schon längst wussten: »Bei spezifisch literarischen Phänomen wie dem Metaphernstil, dem Katachresen-Mäander, dem Generativismus oder dem Realismus sowie hinsichtlich musikalischer Techniken wie rhythmischer Verschiebungen oder harmonischer Modulationen sind der Vergleichbarkeit von Literatur und Musik zunächst Grenzen gesetzt.« (S. 152)
Und was als Resümee für das letzte Kapitel formuliert wird, ist eigentlich ein Glaubenssatz, keine unumstößliche, allgemein-gültige Erkenntnis: »Die strukturelle Analogie zwischen Literatur und Musik ist der Prozess der Sinngebung, das Zusammenspiel der beiden Modalitäten des Semiotischen und des Symbolischen.« (S. 276) Das Hineinkatapultieren in den Elfenbeinturm wissenschaftlicher Exaltiertheit haben Schumanns Opus 16 und Hoffmanns Werke nicht verdient.
(Wolfgang Seibold)
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