Fanny Hensel geb. Mendelssohn. Musikerin der Romantik.

Europäische Komponistinnen.

Peter Schleuning.
Hrsg. v. Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld, Bd. 6.
IX, 349 S., Abb.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2007
ISBN: 978-3-412-04806-8


Diese umfangreiche Studie über die früh verstorbene Musikerin, Komponistin und Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy schließt endlich eine seit langem auffallende Lücke in der Literatur. Aber schon in dieser Beschreibung zeigt sich eben jenes Problem, „dass das Leben von Frauen so sehr in das Leben ihrer Brüder hineinverwoben ist, dass sie nur als 'Schwester von' zu denken sind”, wie die beiden Herausgeberinnen Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld im Vorwort schreiben. So standen im 19. Jahrhundert zahlreiche begabte Künstlerinnen deutlich im Schatten ihrer männlichen Zeitgenossen. Im Falle von Fanny und Felix Mendelssohn aber, dem wohl berühmtesten und wichtigsten komponierenden Geschwisterpaar der Musikgeschichte überhaupt, fällt dieser Umstand ganz besonders auf. Beide erhielten zunächst dieselbe qualifizierte Ausbildung, bei beiden lässt sich eine vergleichbar hohe musikalische Begabung nachweisen. Und dennoch wurde mit zunehmendem Alter der heranwachsenden Kinder der Bruder Felix immer stärker bevorzugt. Deutlich legte die Familie, allen voran der Vater, zweierlei Maß an: „[…] nur Zierde, niemals Grundbass” ihres „Seins und Tuns” sollte die Musik für Fanny bleiben, formulierte er sein Postulat. Eine Einstellung, die von der jungen Frau schließlich übernommen wurde. Auch die daraus folgenden Beschränkungen akzeptierte sie notgedrungen. Erstaunlicherweise aber fand sie, die zeitlebens künstlerisch und persönlich mit ihrem jüngeren Bruder Felix rang, dennoch einen überzeugenden eigenen Weg von nachhaltiger Wirkung. Dabei ermutigte ihr Bruder sie selten, sondern vermochte ihr vielmehr -- ob unbewusst oder in gewisser Absicht -- Selbstzweifel zu vermitteln.

Ganz behutsam löste sich Fanny Mendelssohn aus einigen dieser Abhängigkeiten und trat als veritable Pianistin, als Organisatorin der bedeutenden Berliner „Sonntagsmusiken” und ganz besonders als Komponistin von Liedern und Klavierwerken hervor. Nur an wirklich „öffentliche” Auftritte wagte sie sich trotz ihrer hervorragenden Ausbildung so gut wie nie heran. Zu sehr stand sie dafür dann doch unter dem Einfluss der weit verbreiteten Meinung, dass eine solche Karriere mit dem Dasein als Frau nicht zu vereinbaren sei.

Zunächst zeichnet Peter Schleuning das prägende politische aber vor allem familiäre Umfeld der Mendelssohns nach, ausgehend von Moses Mendelssohn, dem berühmten Philosophen und Großvater Fannys. Die Einbettung des jungen Mädchens in diese Welt zahlreicher hoch gebildeter, belesener und künstlerisch fähiger Verwandten, auch die enge Verbundenheit der einzelnen Mitglieder dieser Großfamilie untereinander erklären viele Besonderheiten auf Fanny Mendelssohns Lebensweg. Diesen beschreibt der Autor anhand von Tagebucheinträgen und Briefen. Angefangen mit ihrer Kindheit im Berliner Elternhaus (ab 1811), über ihre Eheschließung 1829 mit dem Maler Wilhelm Hensel, der ihr deutlich mehr Freiheiten einräumte als zuvor die Familie, und ihre heiß ersehnte, einjährige Italienreise 1839/40 bis hin zu ihrem frühen Tod im Alter von nur 42 Jahren. Im Mittelpunkt dieser Ausführungen steht der umfangreiche Briefwechsel zwischen Fanny und ihrem Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy. Gerade hier erweist Fanny Hensel, geborene Mendelssohn enormen Weitblick in ihrer Beurteilung und Einschätzung künstlerischer Dinge. Ihre kenntnisreichen Überlegungen und überraschenden Ideen sowie insbesondere ihre kritischen Anmerkungen spiegeln ihr hohes geistiges Niveau, aber auch ihre hervorragende Ausbildung wieder. Darüber hinaus sind ihre Äußerungen von inhaltlichem und sprachlichem Witz geprägt, der nicht selten den ihres Bruders weit übertrifft.

Wenngleich die biografischen Studien auch nicht ein Übermaß an bisher unbekannten Erkenntnissen liefern, so fällt Schleuning doch das hohe Verdienst zu, zum ersten Mal sämtliche Fakten sinnvoll angeordnet zusammengestellt zu haben. Hilfreich ist vor allem seine kritische Sicht auf alle vorliegenden Ausgaben der Briefe Fanny Mendelssohns, deren oft fehlerhafte Stellen er gewissenhaft recherchiert und korrigiert. In wissenschaftlich korrekter Form und solide gearbeitet ist das Buch dennoch nicht nur für den Fachmann interessant, sondern bereitet auch dem interessierten Laien ein anregendes Lesevergnügen. Aufschlussreiche Werkanalysen runden den Band ab. Mit seinen Untersuchungen einiger Lieder, Chöre und Klavierwerke sowie der Orchesterouvertüre und der so genannten „Choleramusik” von Fanny Hensel, geb. Mendelssohn zeichnet Schleuning ein lebendiges Bild der Komponistin, die besonders im Anwenden der Sonatensatzform erstaunliche Wege beschreitet. Ein ausführlicher, solide erstellter Anhang mit Notenbeispielen, Bibliographie, Abbildungsnachweisen und diversen Registern erleichtern nicht zuletzt das gezielte Nachschlagen und Auffinden im Buch1.


1.)Die Besprechung wurde zuerst veröffentlicht in Die Tonkunst. Magazin für Klassische Musik und Musikwissenschaft, Heft Nr. 2/April 2008.

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