Janina Klassen: Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit.

Europäische Komponistinnen.
Hrsg. v. Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld,
Bd. 3. XIV,
536 S.,
zahlreiche Abb.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag, 2009
ISBN: 978-3-412-19405-5

Die Reihe ”Europäische Komponistinnen“ hat sich im positiven Sinne der überaus angesagten ”Gender-Forschung“ verschrieben und fördert dabei manch verborgene Perle zutage. Nun ist Clara Schumann sicherlich keine unbekannte Größe unter den Musikerinnen des 19. Jahrhunderts, aber seit man sie ”entdeckt“ hat wurde ihrer Lebens- und Schaffensgeschichte nicht nur Gutes getan. Von Joan Chissels und Nancy B. Reichs 1985 in englischer Sprache veröffentlichten Clara-Schumann-Biographien und einigen kürzeren Aufsätzen abgesehen, erschienen zahlreiche romanhafte Darstellungen, die sich dieser außergewöhnlichen Frau widmen wollten und dabei ebenso merk- wie fragwürdige Thesen aufstellten (u.a. Eva Weissweiler und Dieter Kühn). Umso erfreulicher ist die vorliegende wissenschaftlich fundierte Publikation der Clara-Schumann-Expertin Janina Klassen, die sachlich und distanziert ans Werk geht. Dabei kann die Autorin aus einer Fülle von dokumentarischem Material schöpfen, darunter zahlreiche bisher unver¨offentlichte Quellen, die sie – nicht zuletzt aufgrund ihrer Tätigkeit als Editorin – im Gegensatz zu den Vorgenanntend zu lesen und zu interpretieren weiß. Dankbar empfindet man außerdem, dass hier nicht, wie ansonsten bei den weiblichen Verfassern offenbar üblich, eigene Empfindungen, Erfahrungen und biographische Ereignisse in den eigentlichen Gegenstand der Betrachtung hineinprojieziert werden.

Eine gründliche Aufarbeitung ”ab ovo“ sozusagen, die unter Einbeziehung historischer, soziologischer und auch wirtschaftlicher Faktoren ein stimmiges Bild zeichnet. Das breite Spektrum von Clara Schumanns Werdegang und die unterschiedlichen Facetten ihres Charakters werden nach allen Seiten ausgeleuchtet. Viele ihrer Verhaltens- und Handlungsweisen, die bisher oft moniert und ihr negativ angerechnet wurden, erklären sich auf dem Hintergrund der wecheslvollen Zeitläufte und werden so verständlich. Mit großem Vergnügen bemerkt man darüberhinaus, wie viel Interessantes Clara Schumanns erhaltene Tagebücher noch zu bieten haben, deren komplette Veröffentlichung durch Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich vorbereitet wird. Vielschichtig und aus teils erstaunlichen Perspektiven nähert Janina Klassen sich der Persönlichkeit Clara Schumanns, liebevoll und durchaus mit gebührender Hochachtung, nur selten die gebotene Objektivität beiseite lassend.

So erfährt man Neuigkeiten aus der Biographie Friedrich Wiecks, sieht Clara Schumann in ihrer Rolle als Exklusiv-Interpretin der Werke ihres Mannes, liest Grunds¨atzliches über Lebensführung und Ehe im 19. Jahrhundert und erkennt die gegenseitige, tief greifende und subtile Verbindung zwischen dem kompositorischen Schaffen der beiden Künstler. Man begleitet Clara Schumann durch ihre wechselvolle Beziehung zu Johannes Brahms über den Abschluss und Höhepunkt ihrer Karriere als erste Klavierlehrerin am Dr. Hochschen Konservatorium in Frankfurt bis hin zu ihren zahlreichen Schülerinnen und Schülern auf internationaler Ebene, in deren Wirken sie fortlebte bis ins 20. Jahrhundert.

Ein vollständiges Durchlesen dieses akribisch recherchierten Buches scheint angesichts des Umfangs und der vielfältigen Information fast unmöglich. Um jedoch einzelne Stationen nachzuschlagen, sind die Zusammenhänge oft untereinander zu sehr verwoben, bauen die Kapitel zu stark aufeinander auf. Hier kann der solide erstellte Anhang mit Bibliographie, Werkverzeichnis und Register sowie Abbildungsnachweisen weiterhelfen. Vielleicht hätte Janina Klassen sich ab und zu ein wenig kürzer fassen können, denn an der einen oder anderen Stelle verliert sie sich in zwar hoch interessanten, aber für den Leser kaum noch zu erfassenden Details. Insgesamt jedoch eine enorme Leistung und ein großartiges Buch in gut lesbarem, dabei aber nicht unangemessen lockerem Stil!

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