Robert Schumann. Späte Klavierwerke.

Cover der Klavierwerke

Tobias Koch, Pianoforte

GENUIN Musikproduktion, 2007
GEN 86062

Inzwischen ist es zur schönsten Gewohnheit geworden, regel\-mäßig eine neue Einspielung des aus Kempen stammenden, längst auch international bekannten, vielseitigen (fast schon: "vielsaitigen") Pianisten Tobias Koch vorzustellen. Zur ebenso schönen Gewohnheit wurde, dass die hohen Erwartungen, mit der man an diese Einspielungen herangeht, jedes Mal bestätigt, ja fast noch übertroffen werden. Kochs historisch-fundiertes Klavierspiel wird durch musikwissenschaftliche Studien begleitet. Bei jeden Komponisten versucht er, mit einem dazu geeigneten Tasteninstrument dem authentischen Klangbild am nächsten zu kommen. Sein ausgeprägt enzyklopädischer Ansatz lässt Tobias Koch gerne sämtliche Klavierwerke bei jedem Komponisten komplett einspielen.

So ist auch die vorliegende CD eine weitere eindrucksvolle Dokumentation seiner inzwischen abgeschlossenen musikalischen Reise durch das gesamte Klavierwerk Robert Schumanns. Tobias Koch überzeugte mit seinen interpretatorischen Fähigkeiten auf dem Gebiet der romantischen Aufführungspraxis mehrfach. So auch mit seiner Aufnahme der Klavierwerke Norbert Burgmüllers (wir berichteten in unserem letzten Heft Correspondenz Nr. 29) und jener mit sämtlichen Werken für Violine und Klavier von Robert Schumann gemeinsam mit der Geigerin Lisa Marie Landgraf. Auch für die CD mit Schumanns späten Klavierwerken zieht er weitere Künstler heran. Kammersänger Peter-Christoph Runge steht für die Deklamationsstücke zur Verfügung und das Düsseldorfer Singekränzchen, Sandra Diehl (Sopran), Carmen Schüller (Alt), Lothar Blum (Tenor), Sebastian Klein (Bass) interpretieren das Vokalquartett "Die Orange und Myrthe hier".

Gerade dieses reizende Stück -- es ist Schumanns letzte Vokalkomposition -- schafft eine gelungene Verbindung zu Kochs Einspielung. Schumann komponierte es für den Geburtstag seiner Frau Clara am 13. September 1853, an dem er ihr einen Flügel der Firma Klems schenkte und dazu das Vokalquartett aufführen ließ. Die mit englischer Mechanik ausgestatteten Instrumente des in unmittelbarer Nachbarschaft zur Familie Schumann in Düsseldorf wirkenden Klavierbauers Johann Bernhard Klems spielte die Pianistin Clara Schumann nach 1850 vorzugsweise. Viele Jahre lang ließ sie diese Flügel zu ihren Konzertorten in ganz Deutschland transportieren. Der bis dahin gewohnten schwebenden Leichtigkeit der Wiener Instrumente fügte Klems vor allem ein voluminöses, dunkel getöntes Klangbild hinzu. Die breite Palette dieser Klangfarben beeindruckt auch den heutigen Hörer noch, wie Tobias Koch mit feinstem Anschlag und höchst transparent auf dem von ihm verwendeten Klems'schen Flügel von 1855 und dem Tafelklavier von 1855 demonstriert. Dieses Tafelklavier wird heute in Schumanns letztem Düsseldorfer Wohnhaus aufbewahrt, in den Räumen der Geschäftsstelle unserer RSG. Unterstützt durch die ausgezeichnete Aufnahmetechnik der CD entfaltet sich tatsächlich jener schillernde klangliche Reichtum, der Schumann sicherlich bei der Komposition seiner späten Klavierstücke vorschwebte. Selbst für den Kenner dieser Werke tun sich vollkommen ungeahnte, intensive Klangerlebnisse auf, die sie in ganz neues Licht tauchen.

Großartig gestaltet Koch die perlenden Kaskaden über grollenden, dunkel getönten Oktavgängen des Basses in den Drei Fantasiestücken op. 111. Filigran die meisterhaft ineinander verschlungenen Stimmen der Sieben Clavierstücke in Fughettenform op. 126. Besonders diesen kontrapunktisch angelegten wie auch den fünf Stücken der Sammlung Gesänge der Frühe op. 133 verleiht Koch durch die schillernde und zugleich transparente Farbigkeit des Flügels besondere Akzente und Ausdruckskraft. Wie aus einer anderen Welt, rätselhaft und doch von ergreifender Innigkeit erklingen das Es-Dur-Thema ("Geisterthema") mit seinen fünf Variationen sowie die zwei unvollendet gebliebenen Choralsätze aus Endenich. Dort in der Heilanstalt stand Schumann ein solches Tafelklavier der Firma Klems zur Verfügung, wie es Tobias Koch für seine Interpretation der schlichten, wie verhallend abbrechenden Choralbearbeitungen verwendet. Vier Stücke aus Schumanns Album für die Jugend op. 68 werden durch das silbrig-klare Klangbild dieses Instruments nuancenreich beleuchtet.

Abgerundet wird die Einspielung von Schumanns Balladen "Schön Hedwig" op. 106, "Ballade vom Haideknaben" op. 122 Nr.~1 und "Die Flüchtlinge" op. 122 Nr. 2 in ihrer originalen Gestalt mit Deklamation. Engagiert, mit leicht ironischer Pointierung, jedoch ohne übertrieben romantisches Pathos deklamiert Peter-Christoph Runge ebenso eindringlich wie verständlich.

Im Booklet beschreibt Tobias Koch die vielfältigen Aspekte seiner Aufnahme informativ und spannend zugleich. Angereichert mit interessanten Abbildungen und Zitaten und mit liebevoller Sorgfalt hergestellt, bietet diese CD nicht nur dem Ohr einen Genuss, sondern auch dem Auge. Eine echte Rarität, die viele Sinne anspricht und in keiner Plattensammlung fehlen darf!