Paul Griffiths: Geschichte der Musik.

Vom Mittelalter bis in die Gegenwart.
Aus dem Englischen v. Corinna Steinbach u. Stephanie Staudacher.

302 S., zahlr. Abb., gebunden
Suttgart · Weimar: Verlag J.B. Metzler; Kassel: B¨arenreiter, 2008
ISBN: 978-3-476-02100-7 (Metzler)
ISBN: 978-3-7618-2042-1 (Bärenreiter)


Kompakt, spannend und präzise fasst der englische Librettist, Romancier, Musikschriftsteller und -kritiker Paul Griffiths in vorliegendem Buch die Geschichte der westlichen Musik von ihren Anfängen bis ins 21. Jahrhundert unter dem Aspekt der Zeit zusammen. Mit poetisch-philosophischen, aber treffenden Haupttiteln, von der grundlegenden „Zeit als Ganzes” über „Gemessene Zeit: 1100--1400”, „Empfundene Zeit: 1400--1630”, „Erkannte Zeit: 1630--1770” und „Verinnerlichte Zeit: 1770--1815” bis hin zu „Flüchtige Zeit: 1815--1907”, „Verworrene Zeit: 1908--1975” und „Verlorene Zeit: 1975--”, durchmisst er die Jahrtausende in 24 Stationen. Die Zeit, in der sich die Musik und unser Leben gleichermaßen von jeher bewegen, bildet die Basis sämtlicher Überlegungen. Komponisten aller Generationen, deren Werke, Interpreten und Zuhörer sowie das jeweilige gesellschaftliche Umfeld betrachtet Griffiths. An manchen Stellen hält er gewissermaßen inne und geht ausführlicher auf einen bestimmten, paradigmatisch dargestellten Moment ein.

Grundlage aller Musik ist deren Notation. „Von den Babyloniern zu den Franken„ umreißt Griffiths die in verschiedenen antiken Kulturen entwickelten Möglichkeiten, Musik schriftlich aufzuzeichnen, bis hin zu deren Vollendung in Neumen und Notenlinien. Lange Zeit bezog sich die Notation auf eine bestimmte Form der Musik, den liturgischen Choralgesang. Die neue Musik des 12. Jahrhunderts brachte in den westlichen Kulturen weitere Dimensionen durch Hinzutreten rhythmischer Strukturen, die in unterschiedlichster Ausprägung übereinander gelagert wurden. Die Polyphonie und ihre allmählich aufgestellten Gesetze bestimmte für drei Jahrhunderte das musikalische Geschehen in Europa. Das Zeitalter der ”Troubadors„ mit ihren Liedern über Liebe, Sehnsucht und Klage brach an. Die neue Technik im Pariser Notre-Dame-Organum und die hohe Kunst der Ars nova erweiterten die Fülle der musikalischen Palette beständig bis hin zu jener -- rückblickend -- Renaissance genannten Epoche ab 1400, deren größte Neuerung die Einführung der Dreiklangsharmonik ist, Grundlage der späteren Dur-Moll-Tonalität. Mit dem ”Barocken Erwachen„ im 17. Jahrhundert nähert Griffiths sich jenen Bereichen der Musikgeschichte, die dem Rezipienten wesentlich geläufiger sind. Auf der Grundlage des zuvor quasi im Zeitraffer Dargestellten lässt sich die Entwicklung von Oper, Fuge, Konzert und Concerto deutlich besser begreifen.

Breiten Raum nehmen die klassischen Errungenschaften (Sonate, Streichquartett etc.)  ein, bis dann unter zahlreichen Aspekten die vielseitige Epoche der musikalischen Romantik von ihren Anfängen bei Beethoven bis zu den Ausläufern der Komponisten Ravel, De Falla, Kodály, Grainger und andere im beginnenden 20. Jahrhundert betrachtet wird. Schönberg mit seiner Abkehr vom harmonischen System der Dur-Moll-Tonarten bildet -- wie häufig -- auch hier den Beginn des Zeitalter der „Neuen”, atonalen Musik. Unter Einbeziehung der beiden Weltkriege und ihren starken Eingriffen in Leben und Werk der Komponisten schildert Griffiths auch diese Ära anschaulich und, bei aller gebotenen Kürze, erstaunlich tiefgreifend. Dass sein letztes Kapitel über die Musik nach 1975 Fragment bleiben muss, versteht sich von selbst. Aber auch einige Stränge der immer vielfältiger und komplexer werdenden Phänomene des Musiklebens können in einer solchen Sammeldarstellung nicht berücksichtigt werden. So müssen viele Fragen letztlich offen bleiben.

Insgesamt gesehen schuf Paul Griffiths ein „Lesebuch” im besten Sinne dieses Begriffes. Da er kaum Fachtermini verwendet, spricht das Buch jeden Musikliebhaber an. Umfassende Zusammenhänge werden erklärt, zum Teil aus interessanten Perspektiven, neue Erkenntnisse auch für Fachleute gewonnen. Lese- und Hörempfehlungen zu den einzelnen musikalischen Stationen runden die Studien sinnvoll ab.