Nicolaus Harnoncourt und Martin Kusej nehmen Robert Schumanns unglückliche "Genoveva" in Zürich ernst

Joachim Lange (Leipziger Volkszeitung, 19.02.2008)

Romantischer Schwung

Er wollte mit ihr auf nicht weniger als eine deutsche Nationaloper hinaus. Als Robert Schumanns "Genoveva" 1850 in Leipzig uraufgeführt wurde, war es auch ein Erfolg in dieser Zeit der nachrevolutionären Erschütterungen. Doch dann wurde die Meinung, der unglückliche Meister des Liedes und der Symphonie habe schlichtweg die Gattung verfehlt, zu einem sich immer mehr verfestigenden Verbannungsurteil. Sicher muten gerade der aus Ludwig Tiecks und Friedrich Hebbels Vorlagen teils von Schumann selbst destillierte Text und das Sujet etwas eigenwillig an.

Bei Schumann fällt Genoveva durch die Intrige des abgewiesenen Verehrers Golo, der obendrein im Dienste ihres Mannes steht, zuerst einem veritablen Rufmord und dann beinahe sogar einem physischen zum Opfer. Der intrigante Golo hat seine als Hexe aus der Lebensbahn geratene Amme Margaretha, einen ziemlich heruntergekommenen Mob und die von christlicher (Doppel-)Moral grundierte Eifersucht von Ehemann Siegfried auf seiner Seite. Am Ende, nach einer plötzlichen Opern-Wendung des Schicksals, behält das Gute, Reine, Wahre mit ziemlich martialischem Heil-Brimborium des Chores die Oberhand.

Für Schumanns Oper braucht es einen beharrlichen Querkopf wie Nikolaus Harnoncourt, um sich notfalls gegen das Urteil einer Rezeptionsgeschichte zu stellen. Harnoncourt hat "Genoveva" in den 90er Jahren schon einmal auf CD eingespielt und bietet jetzt in Zürich eine Bühnenversion, deren romantischer Schwung an seiner Präzision und seinem Sinn für transparente Sinnlichkeit wächst.

Als Udo Zimmermann 1999 in Leipzig Achim Freyer für einen Rehabilitierungsversuch gewann, verweigerte der sich mit seiner auf ritualisierte Farbstilisierung setzenden Deutung im Grunde der eigentlichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit Schumanns Oper. Regisseur Martin Kusej stellt sich jetzt in Zürich nicht nur ganz ernsthaft dieser Auseinandersetzung, sondern sucht auch die Querverweise auf die geistigen Strömungen und Verstörungen der Entstehungszeit.

Für den biedermeierlich-romantischen Rückzug in die bürgerliche Privatheit hat Rolf Glittenberg einen weißen Zimmerkasten gebaut. Nur mit einem Stuhl, einem Waschbecken mit Spiegel und einer Tür ausgestattet, ist dies jener seelische Innenraum, in dem sich ein präzise ausformuliertes Kammerspiel der Obsessionen über die eigentliche Handlung legt. So bleibt Siegfried für uns sichtbar anwesend, wenn er für die daheim Gebliebenen längst gegen die Sarazenen kämpft. Gegen diese helle Innenwelt der offenen Gefühle und latenten Leidenschaften, von der unbeirrbaren Treue Genovevas über das zerrissene Begehren Golos bis zu der offen rachsüchtigen Bosheit Margarethas, steht eine dunkle Außenwelt (Kostüme: Heidi Hackl).

Abgerissen gekleidet und im Gesicht so verdreckt wie in der Seele düster dringt der Mob hier ein und schwingt sich im vermeintlichen Triumph über eine unehrenhafte Herrin in der Zerstörung eines deklarierten Moral-Leitbildes aus der eigenen Niedrigkeit zu einer nur vermeintlichen Höhe auf. Kusejs kammerspielartige Präzision integriert unaufdringlich die verdeutlichenden Zeichen. Am Ende ist alles auf Anfang und doch nichts mehr wie es war. Die weißen Wände sind mit Blut und Dreck verschmiert. Golo und Margaretha liegen in ihrem Blut, Genoveva ist gebrochen und Siegfried entsetzt über sich selbst.

Selbstverständlich wurde in Zürich auch auf dem hohen Niveau des Orchesterklangs und der scharfsinnig konzentrierten Inszenierung gesungen. Juliane Banse besticht mit ihrer unbeirrt klaren Genoveva. Shwan Mathey findet vor allem für die innere Zerrissenheit seines auch über sich selbst entsetzten Golo überzeugende Töne. Während die furiose, dunkle Bosheit, mit der Cornelia Kallisch ihre Margaretha profiliert, mit der gradlinigen baritonalen Überzeugungskraft von Martin Gantners Siegfried kontrastiert. Jubel mit ein paar Buhs für die Regie nach einem ziemlich überzeugenden Plädoyer für Schumanns einzige Oper.


LVZ/Leipziger-Volkszeitung, 19.02.2008, S. 10