Carlo Maria Giulini: Das Paradies und die Peri, op. 50.

Robert Schumann.
Margaret Price, Anne Howells, Werner Hollweg, Wolfgang Brendel, Robert Amis el Hage et al.
Coro di Roma della RAI. Orchestra Sinfonica RAI di Roma.
Carlo Maria Giulini, Leitung.

ARTS ARCHIVES, 2007
Original 1974 RAI Stereo Live Recording. Remastered.
2 CDs, ARTS 43076-2


Schumanns weltliches Oratorium für Gesangssolisten, Chor und Orchester, von ihm selbst Dichtung für Solostimmen, Chor und Orches\-ter. Das Paradies und die Peri op. 50 genannt, zählt zu den Werken, die sehr selten aufgeführt oder eingespielt werden und sich mit höchst geringer Popularität abfinden müssen. Diese Situation stellte sich 1974 noch wesentlich drastischer dar. Umso erfreulicher, dass sich zu jener Zeit Carlo Maria Giulini, einer der führenden Dirigenten des 20. Jahrhunderts, der arg vernachlässigten Komposition annahm. Noch erfreulicher ist, dass seine mit großem Engagement dirigierte Einspielung von 1974 nun im Rahmen der Reihe ARTS ARCHIVES mit ausgefeilter Technik remastered und neu aufgelegt wurde.

Zu Schumanns Lebzeiten -- er hielt Paradies und Peri für eine seiner "größten" Arbeiten -- stellte sich die Situation vollkommen anders dar: Das Werk erlebte bei seiner Uraufführung 1843 einen durchschlagenden Erfolg und wurde bereits im ersten Jahrzehnt seiner Entstehung über 50 Mal aufgeführt. Auch außerhalb Deutschlands, u.a. in Utrecht, Amsterdam, Den Haag, Rotterdam, Prag, Zürich, Winterthur, Dublin, Kapstadt, ja sogar in New York wurde op. 50 begeistert vom Publikum aufgenommen, kurz: mit diesem Werk errang Schumann internationale Berühmtheit. Aber jener Kampf der Kulturen, wie er in der Peri angerissen wird, eröffnete nach Abklingen der übertriebenen Orientfaszination des 19. Jahrhunderts gleichzeitig eine politische Dimension, der gerade heute wieder eine ganz aktuelle Brisanz zukommt. Nicht zuletzt deshalb tat man sich ab einem gewissen Zeitpunkt schwer mit der Rezeption dieses Werkes und seiner eigenwilligen Textvorlage, so dass dessen Aufführungsgeschichte vollständig zum Erliegen kam.

"Die Peri's sind nach der orientalischen Sage anmuthige Wesen der Luft; sie waren einmal im Paradies, aus dem sie aber eines Fehltritts halber verwiesen wurden." Damit beschreibt Schumann nicht nur den eigentlichen Auslöser für die Handlung seines Oratoriums, sondern gleichzeitig die Grundzüge von dessen musikalischer Konzeption. Die Vorlage zum Libretto erhielt er durch das aus dem persischen Kulturkreis kommende Epos Lalla Rookh des irischen Dichters Thomas Moore.

Mit dem ausdrucksvollen Vorspiel und der eröffnenden Alt-Arie "Vor Edens Tor" führt Schumann direkt in die Geschichte ein und umreißt gleichzeitig die lyrische Atmosphäre des gesamten Werkes. Unmittelbar schließt sich die Hauptfigur Peri mit einem charakteristischen zarten "Wie glücklich sie wandeln" an, das deren Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies auffängt. Im folgenden werden große Teile einer Testo-Partie (Alt und Tenor) oder dem kommentierend eingesetzten Chor überlassen. Dem gegenüber fällt aber die Affinität vieler Gesänge, insbesondere jener der Peri, zum klavierbegleiteten lyrischen Lied, zur Ballade oder auch zur Romanze auf. Dem Chor weist Schumann eine auffallend vielseitige Funktion zu, die das Neuartige wohl am besten demonstriert. Die geschickt disponierte dramaturgische Konzeption des gesamten Werkes wird zusätzlich durch eine differenzierte Instrumentation gestützt. Auch hier entwickelte Schumann neue Ausdrucksmöglichkeiten, die auf Farbigkeit setzen: Ventiltrompeten, eine Ophykleide (Vorgängerin der Basstuba), eine Harfe und die Vergrößerung des Schlagwerks um Becken, Trommeln und Triangel dienen diesem Zweck.

Subtile thematische Arbeit, die an Wagners Leitmotivtechnik erinnert, eine exotische Orchesterbesetzung mit französischem Ausmaß und Chöre, die jeder italienischen Oper zur Ehre gereichen würden, -- sämtliche Phänomene greifen Giulini und seine mit ihm musizierenden Sänger und Instrumentalisten souverän und stimmungsgerecht auf. Hohe Ernsthaftigkeit und Konzentration bei allen beteiligten Musikern lassen keineswegs die Lust und Spielfreude vermissen, die Schumanns berückend schöne Musik adäquat vermitteln kann. Niemand wird nach Hören dieser Aufnahme bezweifeln, dass Schumanns op. 50 inhaltlich wie musikalisch nach wie vor ausgesprochen aktuell ist.