1838 Wien

Blick auf Wien
Blick auf Wien, Stahlstich, 1. H. 19. Jh. (StadtMuseum Bonn)

Wien zählte neben Paris und London zu den wichtigsten Musikmetropolen im 19. Jahrhundert. In Wien sollte es sich für Clara Wieck entscheiden, ob sie neben einem der berühmtesten Pianisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Sigismund Thalberg, bestehen konnte. Anfang Dezember 1837 traf die junge Virtuosin zum ersten von neun Aufenthalten in der Donaumetropole ein, und ihr Erfolg war beispiellos. Wien geriet in ein wahres Clara-Wieck-Fieber, und es wurde sogar ein Wettbewerb unter Konditoren für die Kreation einer „Torte à la Wieck“ ausgeschrieben! Als Clara das Publikum auf ihrer Seite wußte, setzte sie auch Werke von Chopin, Bach und Beethoven auf ihr Programm, eine Seltenheit in damaligen Konzertprogrammen. Ihre Interpretation von Beethovens Appassionata regte Franz Grillparzer zu einem Gedicht an, und auch der Rivale Franz Liszt zeigte sich beeindruckt. Claras Konzerterfolge wurden mit der Ernennung zur k.k. Kammervirtuosin durch Kaiser Ferdinand I. gekrönt, eine hohe Ehre, die der Pianistin damit als Frau, Ausländerin und Protestantin zuteil wurde.

Die zweite Wienreise sollte schwieriger verlaufen: Clara unternahm sie mit ihrem Mann Robert und den beiden ältesten Töchtern Marie und Elise um die Jahreswende 1846/47. Die Reiseorganisation inklusive Wohnungssuche lastete auf ihr, sie hatte kaum Zeit zum Üben, weil sie sich um Mann und Kinder kümmern mußte, und der Erfolg der Konzerte war mittelmäßig, auch wenn Schumanns Kompositionen – es handelte sich um Erstaufführungen – durchaus positiv aufgenommen wurden. Erst das vierte und letzte Konzert rentierte sich finanziell, doch lag dies wohl in erster Linie an der Teilnahme der berühmten und beliebten Sängerin Jenny Lind.

Als Clara Schumann im Januar und Februar 1856 zu fünf Konzerten nach Wien reiste, war die Begeisterung des Publikums jedoch wieder sehr groß. Nun spielte sie Werke Schumanns nicht mehr nur in privatem Kreis, sondern auch im öffentlichen Konzert. Drei Jahre später bestürmte man sie sogar, drei Soireen ausschließlich mit Schumannschen Werken zu geben, doch fand die Pianistin dies unklug. Auch Kompositionen von Brahms stellte Clara dem Wiener Konzertpublikum vor, doch erging es ihr mit diesen zunächst ähnlich wie mit denen Schumanns Jahre zuvor. Die Werke waren den Zuhörern zu neu und ungewohnt. Die musikalischen Verhältnisse in Wien hielt Clara denn auch für traurig und wenig interessant und stellte vor allem Mängel im Musikunterricht fest, denn sie gab nicht nur Konzerte, sondern unterrichtete bis zu drei Stunden pro Tag.

Die weiteren Wienreisen, die Clara Schumann unternahm, waren ebenfalls erfolgreich. 1860 wurde sie mit nicht enden wollendem Applaus empfangen, 1866 gab sie sechs überfüllte Konzerte und berichtet von der großen Wärme des Publikums in Briefen an Brahms. Die letzte Wienreise im November 1872 unternahm die Pianistin mit der Sängerin Amalie Joachim, nur wenige Tage nach dem Tod ihrer dritten Tochter Julie, denn die Kunst galt ihr als Überlebensstrategie insbesondere bei Verlusten. Auch diese letzten vier Wiener Konzerte waren „übervoll“ und künstlerisch wie finanziell gelungen.

(Julia M. Nauhaus)