Robert Schumann in Endenich.

Mit ungedruckten Briefen von ihm.

Aus: Am Ende des Jahrhunderts. [1895 – 1899] (Der „Modernen Oper“ VIII. Teil.)
Musikalische Kritiken und Schilderungen von Eduard Hanslick.
Berlin: Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1899, Seite 317 – 342
(Für das Portal des Schumann-Netzwerkes 2006 neu aufgenommen im Büro des StadtMuseums Bonn)

I.

Es ist bald ein halbes Jahrhundert her, daß Robert Schumann (am 24. Oktober 1850) sein Amt als städtischer Musikdirektor in Düsseldorf antrat. Man weiß aus seinen Briefen, wie er während der beiden ersten Jahre sich dort wohl und zufrieden gefühlt und nur über die ungewohnte Anstrengung des Dirigierens geklagt hat. Bekannt ist aber auch, daß bald ein qualvoller Zustand nervöser Überreizung immer beunruhigender ich einer bemächtigte, daß er an Wahnvorstellungen litt, von Stimmen und Tönen verfolgt wurde und endlich in einem Anfall überwältigenden Angstgefühles plötzlich das Haus verließ und sich von der Rheinbrücke ins Wasser stürzte. Gerettet und nach Hause gebracht, erholte er sich bald, doch war dieses rasche Sichselbstwiederfinden nicht von Dauer. Schumann fühlte sich von der nervösen Überreizung, welche seinen Geist zu umschleiern begann, so sehr beängstigt, daß er selbst in eine Heilanstalt gebracht zu werden verlangte. Da sein Zustand in der That unausgesetzte Überwachung notwendig machte, führte man Schumann am 4. März 1854 in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz in Endenich bei Bonn, welche er bis zu seinem Tode (29. Juli 1856) nicht mehr verlassen hat.

Über den Zustand Schumanns während dieses Aufenthaltes in Endenich sind, wie ich häufig wahrzunehmen Gelegenheit hatte, sehr irrige Vorstellungen verbreitet. Es ist begreiflich, daß der Gedanke an eine solche Heilanstalt bei den meisten Menschen gleich die gräßlichsten Bilder heraufbeschwört. Sie entsprechen aber keineswegs immer der Wahrheit. Nichts ist unrichtiger, als sich Schumann als einen Kranken vorzustellen, in dem jeder Funke von Denkvermögen ausgelöscht, jeder mit seiner Umgebung ihn verbindende Faden abgerissen ist, wie bei dem unglücklichen Lenau, dessen Anblick den Freunden sich als die furchtbarste Erinnerung lebenslang eingeprägt hat. Nichts dergleichen bei Schumann. Mild und freundlich, ja mitteilsamer als in manchen gesunden Tagen unterhielt er sich mit den ihn besuchenden Freunden Brahms und Joachim; er musizierte, las, schrieb Briefe und komponierte. Seine Krankheit äußerte sich nicht in den erschreckenden Formen der Exaltation oder des vollständigen Stumpfsinnes, sondern als eine tiefe Ermüdung, eine melancholische Abspannung, die vorübergehend in Gedankenflucht abirren mochte.*) Nicht vergessen kann ich die schönen Worte, die Ferdinand Hiller am Grabe seines Freundes sprach: „Dein müder Geist! Zu viel hattest du ihm abverlangt. Was in geweihter Stunde dem dankbar Empfangenden zu teil werden mag, das fordertest du als ein Recht jeden Augenblicks. Lange gehorchte er willig – und wer vermöchte zu sagen, wie er sich mit die entzweite? Ach, vielleicht war es nur ein kurzes Schmollen, wie es ja zwischen den besten Freunden vorkommt, und nur unseren blöden Augen erschien es wie ein Zerwürfnis, und ihr seid wieder im besten Einvernehmen und lächelt über alles, was wir hier von euch sprechen, und lächelt milde und verzeiht es uns!“

Ich denke, es müßte allen Verehrern Schumanns, dieses großen Künstlers und herrlichen Menschen, willkommen sein, ein tröstlicheres Bild von seinen letzten Tagen zu empfangen. Dieses freundlichere Bildnis kann ihnen niemand getreuer liefern, als Schumann selbst in den Briefen, die er aus der Heilanstalt an seine Frau, an Brahms und Joachim schrieb. Mir war’s beim Lesen dieser Briefe oft zu Mut, als blickte mich der Schumann aus alter Zeit mit seinen milden Augen an und spräche mit seiner wohlbekannten stillen, freundlichen Stimme. Es sind unschätzbare Beiträge zur Kenntnis Schumanns, tief gemütvolle Klänge aus seinem Herzen. Rührender als in diesen Endenicher Briefen kann die zärtliche Liebe zur Gattin, zu den Kindern, zu den Freunden, endlich zu seiner Kunst sich nicht aussprechen. Wie dankbar zeigt sich Schumann für jedes kleine Liebeszeichen, das seine Clara ihm sendet; wie unermüdlich erinnert er sie an gemeinsam Erlebtes in glücklicheren Tagen; wie eifrig bespricht und rühmt er die Kompositionen seiner beiden jungen Freunde Joachim und Brahms!

War es nicht längst eine Pflicht, hier Zeugnisse von Schumanns letztem Denken und Fühlen und damit ein verklärtes, geläutertes Bild des Verewigten seiner großen, ihm liebevoll anhängenden Gemeinde zu überliefern? Es sind sieben Briefe Schumanns an seine Frau, vier an Brahms und einer an Joachim, welche ich hier mit Zustimmung der beiden letztgenannten Freunde und der ältesten Tochter Schumanns, Fräulein Marie Schumann, zum ersten Male veröffentliche. Die Briefe liegen mir zur Hälfte im Original vor, zur andern in Abschriften von der Hand Claras und Brahms. Ich habe mir keine Veränderung daran erlaubt, nur einzelne, offenbar in der Eile ausgelassene Worte in Klammern suppliert.

Den zunächst hier folgenden Briefen an Clara schicke ich einige notwendige Erläuterungen voraus.
Schumanns Hochzeitstag war der 12. September, Claras Geburtstag der 13. September; darum äußert Schumann in seinem ersten Briefe vom 14. September seine Freude darüber, daß seine Frau ihm „gerade an solchem Tag“ schrieb. Das Zusammentreffen wichtiger Kalendertage hat Schumann immer als bedeutungsvoll empfunden. So preist er im zweiten Briefe „die Freudenbotschaft, daß Clara ihm gerade im Juni einen Knaben geschenkt“. Der 10. Juni war Schumanns Geburtstag. Der Knabe, dessen Geburt ihm gemeldet ward, erhielt nach Schumanns Wunsch den Namen Felix, in Erinnerung an Mendelssohn „den Unvergeßlichen“! Sein Taufpate war Brahms. Mendelssohn selbst hatte den ältesten Sohn Schumanns, Ludwig, aus der Taufe gehoben. Es war ein eigener Aberglaube Schumanns, daß es nicht gut anschlage, wenn das Kind den Namen seines Paten erhalte. Felix Schumann ist in jungen Jahren an der Lungentuberkulose gestorben und hat seinen Vater nie gesehen. Er war poetisch veranlagt; eines seiner Gedichte: „Meine Lieb‘ ist grün“, ist durch Brahms‘ Komposition (op. 63, Nr. 5) berühmt geworden. Ferdinand Schumanns zweiter Sohn, hat den Feldzug vom Jahre 1870 mitgemacht und ist infolge der Kriegsstrapazen gestorben. Der älteste von den drei Söhnen, Ludwig, siechte viele Jahre lang in einer Heilanstalt, wo ihn endlich im Januar 1899 der Tod erlöste. Von den Töchtern Schumanns ist Julie als die Gattin eines italienischen Conte gestorben. Die jüngste Tochter, Eugenie, lebt in London als Klavierlehrerin. Die beiden älteren, Marie (die treue Begleiterin und Pflegerin ihrer Mutter) und Elise, verehelichte v. Sommerhoff, leben in Frankfurt a. M.

Die am Schlusse des ersten Briefes erwähnten Variationen über ein Thema in Es-dur haben eine merkwürdige Geschichte, die nur den nächsten Freunden Schumanns bekannt geworden. Eines Nachts, zu Anfang Februar 1854, war Schumann plötzlich aus seinem Bett aufgestanden und hatte Licht verlangt, da ihm Franz Schubert ein Thema geschickt habe, das er sogleich aufschreiben müsse. Über dieses Thema in Es-Dur begann er bei schon anbrechender Krankheit Variationen zu komponieren. Es war an dem unglückseligen 27. Februar, als er mitten im Aufschreiben der fünften, stürmisch bewegten Variation plötzlich aufsprang, darhaupt das Haus verließ und sich in den Rhein stürzte. Aus den Fluthen gerettet und heimgebracht, setzte er sich sofort schweigend an seinen Schreibtisch und schrieb an der Variation weiter, genau wo er aufgehört hatte. Die Variationen sind nicht gedruckt, nur das Thema ist in den Supplementband seiner gesammelten Kompositionen aufgenommen. Dasselbe Thema hat eine rührende Auferstehung und Verklärung erlebt in den vierhändigen Variationen op. 23 von Brahms.
Die anderen in demselben Brief erwähnten Schumannschen Kompositionen sind: Der Balladenzyklus „Vom Pagen und der Königstochter“, op. 140, und das Johann Brahms gewidmete Concert-Allegro in D-Moll, op. 134. – Die „Gesänge in der Frühe“, deren Manuskript Schumann verlangt, sind keine Lieder, sondern fünf Klavierstücke, op. 123, „der hohen Dichterin Bettina gewidmet“. – Das im dritten Brief vorkommende plattdeutsche Wort „Läuschen“ (aus Fritz Reuters „Läuschen un Rimels“ bekannt) hat Joachim in der gedruckten Ausgabe seiner „Drei Stücke für Violine und Piano“ (op. 5) durch Ballade ersetzt. „Das Thema, was du variiertest“ (im vierten Brief) bezieht sich auf die „Variationen über ein Thema von Robert Schumann, ihm gewidmet von Clara Schumann“ (op. 20). Über dasselbe Thema in Fis-moll hat auch Brahms seine Variationen, op. 9, geschrieben und Clara Schumann zugeeignet. Von diesen Brahmsschen Variationen spricht Schumann auch in den späteren Briefen.

Die Freunde, nach denen Schumann sich erkundigt, sind: der Komponist Woldemar Bargiel, ein Stiefbruder Claras, dann der ausgezeichnete Concert-Dirigent J. H. Verhulst im Haag (geboren 1816, gestorben 1891), ferner Lindhult, Gesanglehrer in Köln, Julius Otto Grimm, königlicher Musikdirektor in Münster, endlich Ernst Adolph Becker (nicht F. A. Becker, wie Schumann ihn irrtümlich in der Widmung der „Nachtstücke“ nannte), geboren 1798 in Dresden, gestorben 1874, Untersuchungsrichter beim Bergamte („Bergschreiber“) in Freiberg. Er war Schumanns intimer Freund, insbesondere Vertrauter in dessen Herzens- und Verlobungsgeschichte mit Clara Wieck. Schumanns „Glückwunsch zu der Ernennung in Holland“ bezieht sich auf das Ehrendiplom von der Amsterdamer Musikgesellschaft „Maatschappy tot Bevordering der Toonkunst“.

Die „Tagesfolge im August: Clara, Aurora, Eusebius“ (im fünften Brief) bedeutet auch eine von Schumanns pietätvollen Kalender-Erinnerungen. Der Name Clara fällt auf den 12. August, Eusebius auf den 14. August. Die „Aurora“ und ihre spezielle Bedeutung für Schumann konnte ich nicht entdecken.

In dem letzten Briefe vom 6. Januar 1855 spricht Schumann von Brahms‘ Balladen, op. 10. Daß er die dritte Ballade (Intermezzo, H-moll 6/8) als „dämonisch“ bezeichnete, während Clara darin Engel erblickte, welche durch den blauen Himmel ziehen, machte seine Umgebung sofort ängstlich, und die Absicht, Schumann aus der Heilanstalt herauszunehmen, wurde wieder aufgegeben. Brahms selbst neigt mehr zu der Anschauung Schumanns als zu jener Claras über den Charakter des Stückes. Ich lasse nun die Briefe Schumanns folgen.

Briefe von Robert Schumann an seine Frau.

Endenich, den 14. September 1854.

Wie freute es mich, geliebte Clara, deine Schriftzüge zu erblicken! Habe Dank, daß du gerade an solchem Tage schreibst und du und die lieben Kinder sich meiner noch in alter Liebe erinnern. Grüße und küsse die Kleinen! O könnt ich euch ein Mal sehen und sprechen; aber der Weg ist doch zu weit. So viel möchte ich von dir erfahren, wie dein Leben überhaupt ist, wo ihr wohnt und ob du noch so herrlich spielst wie sonst, ob Marie und Elise immer vorschreiten, ob noch auch singen – ob du noch den Klemmsschen Flügel hast, wo meine Partituren-Sammlung (die gedruckten) und die Manuskripte (wie das Requiem, des Sängers Fluch) hingekommen sind, wo unser Album, das Autographen von Goethe, Jean Paul, Mozart, Beethoven, Weber und viele an dich und mich gerichtete Briefe enthielt, wo die Neue Zeitschrift für Musik und meine Korrespondenz? Hast du noch alle an dich von mir geschriebenen Briefe und Liebeszeilen, die ich die von Wien nach Paris schickte? Könntest du mir vielleicht etwa Interessantes schicken, vielleicht die Gedichte von Scherenberg, einige ältere Bände meiner Zeitschrift und die musikalischen Haus- und Lebensregeln! Dann fehlt es mir noch an Notenpapier, da ich manchmal etwas an Musik aufschreiben möchte. Mein Leben ist sehr einfach, und ich erfreue mich immer wieder an der schönen Aussicht nach Bonn, und wenn ich da bin, an dem Siebengebirge und an Godesberg, an das du dich auch noch erinnern wirst, wie ich in der stärksten Sonnenhitze, am „Pagen“ arbeitend, vom Krampfanfällen angefallen wurde. Dann möchte ich wissen, liebe Clara, ob du vielleicht für meine Kleidung gesorgt und ob du manchmal Zigarren geraucht? Es liegt mir viel daran, es zu wissen. Schreibe mir noch Genaueres über die Kinder, ob sie noch von Beethoven, Mozart und aus meinem Jugendalbum spielen, ob auch Julie das Spiel fortsetzt und wie sich Ludwig, Ferdinand und die liebenswürdige Eugenie zeigen. O wie gerne möchte ich dein wundervolles Spiel einmal hören! War es ein Traum, daß wir im vorigen Winter in Holland waren und daß du überall so glänzend aufgenommen, namentlich in Rotterdam, und uns ein Fackelzug gebracht wurde, und wie du in den Concerten das Es-dur-Concert, die Sonaten aus C-dur und F-moll von Beethoven, Etuden von Chopin, Lieder ohne Worte von Mendelssohn und auch mein neues Concertstück in D so herrlich spieltest. Erinnerst du dich noch eines Themas in Es-dur, was ich in der Nacht einmal hörte und Variationen darüber schrieb; könntest du sie mir beilegen und vielleicht etwas von deinen Kompositionen mit?

So viele Fragen und Bitten hab‘ ich – könnt‘ ich zu dir und sie dir aussprechen. Willst du den Schleier über Dieses oder Jenes, worüber ich dich gefragt, werden, so thue es. So leb‘ ich denn wohl, geliebte Clara und ihr lieben Kinder, und schreibt mir bald. Dein alter getreuer
Robert.


Endenich, 18. September 1854.

Geliebte Clara!
Welche Freudenbotschaften hast du mir wieder gesandt, daß der Himmel dir einen prächtigen Knaben und im Juni geschenkt, die liebe Marie und Elise dir zu deinem Geburtstag mit den „Bildern aus Osten“ zu deiner und meiner Überraschung vorgespielt, Brahms, den du freundlich und verehrungsvoll grüßen wolltest, ganz nach Düsseldorf übergesiedelt – welche Freudenbotschaften! Wenn du wissen willst, welches mir der liebste Name, so errätst du ihn wohl, der Unvergeßliche! Freude hat es mir gemacht, daß die gesammelten Schriften vollständig und das Violoncell-Concert, die Violin-Phantasie, die Joachim so herrlich gespielt, und die Fughetten erschienen. Kannst du mir, da du es mir so liebevoll anbietest, Eines oder das Andere schicken? Schreibst du Joachim, so grüß‘ ihn. Was haben Brahms und Joachim komponiert? Ist die Ouvertüre zu Hamlet (von Joachim) erschienen, hat er seine andere vollendet? Du schreibst mir, daß du im Klavierzimmer die Stunden giebst. Welche sind denn die jetzigen Schülerinnen, welche die besten? Strengst du dich nicht so sehr an, liebe Clara?

Abends 8 Uhr. Eben komme ich von Bonn zurück, immer Beethovens Statue besuchend und von ihr entzückt. Wie ich vor ihr stand, erklang die Orgel in der Münsterkirche. Ich bin jetzt viel kräftiger und sehe viel jünger aus, als in Düsseldorf. Nun möchte ich dich um etwas bitten, daß du Herrn Dr. Peters schreibst, mir manchmal an Geld zu geben, was ich wünsche, und ihm wieder ersetztest. Oft bitten mich arme Leute, und dann dauerts mich. Sonst ist mein Leben nicht so bewegt, als früher. Wie war das sonst ganz anders! Gieb mir doch Mitteilung über das Leben unserer Anverwandten, Freunde und Freundinnen in Köln, Leipzig, Dresden und Berlin, über Woldemar, Dr. Härtel, du kennst sie Alle.

Nun möchte ich dich an Manches erinnern, an vergangene selige Zeiten, an unsere Reise in die Schweiz, an Heidelberg, Lausanne, an Beven, an Chamouny, dann an unsere Reise in den Haag, wo du das Erstaunlichste leistetest, dann an die nach Antwerpen und Brüssel, dann an das Musikfest in Düsseldorf, wo meine vierte Symphonie zum ersten Male und am dritten Tage das A-moll-Concert von mir, so herrlich von dir gespielt, mit glänzendem Beifalle, die Rhein-Ouvertüre mit weniger glänzendem, aufgeführt. Erinnerst du dich auch, wie in der Schweiz zum ersten Male die Alpen in aller Pracht sich zeigten, der Kutscher in etwas scharfen Trab geriet und du etwas ängstlich wurdest. Über alle unsere Reisen, auch über die, die ich als Schüler und Student gemacht, habe ich kurze Notizbücher – oder viel besser – willst du mir die Freude machen, einen Band deiner Tagebücher zu senden und vielleicht eine Abschrift von den Liebeszeilen, die ich dir von Wien nach Paris geschickt? Hast du noch das kleine Doppelporträt (von Rietschel in Dresden)? Du würdest mich dadurch sehr beglücken. Dann spreche ich dir den Wunsch aus, mir die Geburtstage der Kinder mitzuteilen, sie standen im blauen Büchlein.
Nun will ich noch an M. und E. (Marie und Elise) schreiben, die mich so herzlich angesprochen.
Adieu, herzlichste Clara, vergiß mich nicht, schreibe bald deinem
Robert.


Endenich, 26. September 1854.

Welche Freude, geliebte Clara, hast du mir wieder durch deinen Brief und die Sendung gemacht und das Doppelbild. Meine Phantasie war durch die vielen schlaflosen Nächte sehr verwirrt, nun seh‘ ich dich wieder in deinen edlen ernsten Zügen.
Was du über - - schreibst, hat mich aufs herzlichste erfreut. So auch über Brahms und Joachim und Beider Kompositionen. Das wundert mich, daß Brahms kontrapunktische Studien treibt, was ihm gar nicht ähnlich sieht. Joachims drei Stücke, für Klavier und Viola, möchte ich kennen lernen; erinnerst du dich „Läuschen“, für Violine und Pianoforte, dieses furchtbaren Stückes! Auch Woldemar grüße vielmals.

Des Bildnisses Brahms von Laurens kann ich mich noch besinnen, meines aber nicht. Dank für die Mitteilung der Geburtsjahre der Kinder; welche Taufzeugen für den Kleinsten und in welcher Kirche soll er getauft werden? Schreibe mir mehr von den Kindern und von dir, herzlich geliebte Clara.

Dein Robert.


Endenich, 10. Oktober 1854.

Herzliebste Clara!
Welche Freudensendung hast du mir wieder gemacht! Dein Brief mit Juliens ihrem, die Komposition von Brahms über das Thema, was du variirtest und die drei Bände des A. B’schen (Arnim Brentano) Wunderhorns, meines Lieblingsbuches, aus dem ich Vieles komponiert, und namentlich das „Wenn ich ein Vöglein wär‘“ in die Genoveva aufgenommen. Erinnerst du dich, wie dann Solo immer kühner und zu dem Liede in anderen Weisen singt?
Nun habe ich herzlichen Dank für die Abschrift der kleinen Verse, die ich die aus Wien nach Paris geschickt. Das Umkehrrätsel von Roma (Amor) gefällt mir noch sehr. Ich wünsche manchmal, daß du mich am Flügel phantasieren hörtest; das sind meine schönsten Stunden. Die Variationen von Brahms muß ich noch genauer kennen lernen; ich schreibe selbst an ihn.

Könnte ich vielleicht durch deine Güte das Manuskript der „Gesänge der Frühe“ noch ein Mal zur Ansicht bekommen? Wie steht es mit dem Verlage des Concertstückes in D mit Orchester, das du in Amsterdam so wunderschön spieltest, und des zweiten spanischen Liederspieles?

Nun nimm, geliebte Clara, meinen Glückwunsch zu der Ernennung in Holland, das ist das älteste Diplom, das ich erhalten. Schreibst du an Verhulst, so grüße ihn. Wer ist Herr Lindhust? Ich glaubte, ihn früher in Düsseldorf gesehen zu haben; er sprach nicht viel, schien aber viel in sich zu tragen. Herrn Grimms erinnere ich mich auch sehr gut, wir waren ja immer mit Brahms und Joachim in der Eisenbahn-Restauration (in Hannover); grüße ihn und vor allem auch Fräulein Leser. An Brahms schreibe ich selbst, wie auch Marien und Julien. Meine Fußwanderungen bestehen noch immer nach Bonn, mich an der reizenden Aussicht nach dem Siebengebirge erlabend; weiß du noch, wie wir den Drachenfels bestiegen und einem würdigen Geistlichen begegneten? Wir hatten Mühe, gegen den Strom und auf die Insel Nonnenwerth zu kommen. Nun lebe wohl, geliebte Clara, grüße Alle, die sich meiner erinnern.

Dein Robert.


12. Oktober 1854.

Ich empfange eben deinen neuen herzlichen Brief mit dem Daguerreotyp von Mariechen, das mir noch immer in der Erinnerung vorschwebt. Auch für die Zigarren nimm meinen Dank, wie für den vierten Band des Wunderhorns. An das englische Schachspielbuch gedenke ich auch sehr gerne, und es freut mich, einige noch unaufgelöste Spiele zu lösen. Die Brahmsschen Variationen bewundere ich immer mehr. Willst du den beifolgenden Brief ihm übergeben? Es freut mich auch, daß du von Becker in Freiberg Nachrichten empfangen und auch Aussicht hast, von Härtel wegen des thematischen Verzeichnisses meiner Kompositionen Nachricht zu erhalten. Nun muß ich dir auch sagen, wie mich auch deine Variationen immer mehr entzücken und deines herrlichen Spiels dieser und meiner erinnern. Des Gedichtes an dich, liebe Clara, in meinen Schriften gedenke ich auch gerne, auch des Tages im August, wo ... Tagesfolge Clara, Aurora, Eusebius sich folgen und ich dir durch Becker meinen Verlobungsring sendete. Erinnerst du dich an Blankenburg, wo ich dich an deinem Geburtstage einen Diamantring in einem Blumenstrauß suchen ließ und du einen der Diamanten in Düsseldorf verlorst und ihn Jemand wiederfand! Das sind selige Erinnerungen.

Schreibe mir noch mehr, teure Clara, von den Kindern. Ludwig wurde das Sprechen immer sehr schwer, aber vom Ferdinand wüßte ich es nicht. Und schreibe recht bald und immer so fröhliche Nachrichten.

Dein in alter und neuer Liebe ergebener
Robert.


Aus einem Briefe vom 27. November 1854.

Die Variationen von Johannes haben mich bei der ersten Durchsicht gleich und bei tieferer Erkenntnis immer mehr entzückt. An Brahms schreib ich selber noch; hängst sein von de Laurens gezeichnetes Bild noch in meinem Studierzimmer? Er ist einer der schönsten und genialsten Jünglinge. Mit Entzücken erinnere ich mich des herrlichen Eindrucks, den er das erste Mal durch seine C-dur-Sonate und später Fis-moll-Sonate und das Scherzo in Es-moll machte. O könnte ich ihn wiederhören! Auch seine Balladen möchte‘ ich.


6. Januar 1855.

Nun wollte ich dir, meine Clara, auch ganz besonders für die Künstlerbriefe danken und Johannes für die Sonate und Balladen. Die kenn‘ ich jetzt. Die Sonate – ein Mal erinnere ich mich sie von ihm gehört zu haben – und so tief ergriffen; überall genial, tief, innig, wie Alles in einander verwoben. Und die Balladen – die erste wunderbar, ganz neu; nur das doppio movimente wie bei der zweiten versteh‘ ich nicht, wird es nicht zu schnell? Der Schluß schön-eigentümlich! Die zweite wie anders, wie mannigfaltig, die Phantasie reich anzuregen; zauberhafte Klänge sind darin. Das Schluß-Baß-Fis scheint die dritte Ballade einzuleiten. Wie nennt man die? Dämonisch – ganz herrlich und wie’s immer heimlicher wird nach dem pp. im Trio; dieses selbst ganz verklärt und der Rückgang und Schluß! Hat diese Ballade auf dich, meine Clara, wohl einen gleichen Eindruck hervorgebracht? In der vierten Ballade wie schön, daß der seltsame erste Melodieton zum Schlusse zwischen moll und dur schwankt und wehmütig in dur bleibt. Nun weiter zu Ouvertüren und Symphonien! Gefällt dies dir, meine Clara, nicht besser als Orgel? Eine Symphonie oder Oper, die enthusiastische Wirkung und großes Aufsehen macht, bringt am schnellsten und auch alle anderen Komposition vorwärts. Er muß.

Nun grüße Johannes recht und die Kinder, und du, meine Herzensliebste, erinnere dich deines in alter Liebe ergebenen
Robert.


II.

Die folgenden Briefe Schumanns an Brahms und Joachim bedürfen nur weniger Erläuterungen. Brahms hatte auf die Nachricht von Schumanns Erkrankung sofort seinen Wohnsitz in Düsseldorf genommen, um in dieser schweren Prüfungszeit Frau Clara und ihren Kindern trost- und hilfreich zur Seite zu stehen. Schumann hatte zuerst an dem jungen Brahms das große Talent erkannt und anerkannt – jetzt bekam die Familie Gelegenheit, sein Herz kennen zu lernen. Brahms war der häufigste und willkommenste Besucher in Endenich; er kam wöchentlich ein- auch zwei Mal zu dem Kranken, der mit zärtlicher Liebe an ihm hing. Sein Erscheinen wirkte offenbar freundlich beruhigend auf Schumann, mit dem er von dessen Angehörigen und über Musik sprach, auch vierhändig spielte. Sonst gestattete der Arzt nur sehr selten nahen Freunden den Zutritt zu Schumann, dem jede Aufregung sorgsam fernzuhalten war. Clara selbst durfte ihn erst ganz kurz vor seinem Tode sehen, als er nicht mehr sprechen konnte. Joachim schreibt mir bei Übersendung des letzten Schumann-Briefes: „Ich habe Schumann drei Mal in Endenich besucht; das erste Mal hatte ich trostreiche Eindrücke, es war ganz sein freundlicher Blick, das liebreiche, tieftreue Auge, wie es uns auch aus so vielen seiner Notenreihen, von schönen Welten träumend, entgegenleuchtet. ER sprach viel und hastig freilich, frug nach Freunden und musikalischen Vorgängen und zeigte mir alphabetische Register von Städtenamen, die er emsig zusammengestellt. Als ich fort wollte, nahm er mich noch geheimnisvoll in eine Ecke (obwohl wir unbeobachtet waren) und sagte, daß er sich von da wegsehne; er müsse von Endenich weg, denn die Leute verständen ihn gar nicht, was er bedeute und wolle. Es schnitt mir ins Herz! Zum Abschiede begleitete er mich noch ein Stück auf die Chaussee und umarmte mich dann. (Ein Wärter war in der Ferne gefolgt.) Die beiden weiteren Male schwand leider jeder Hoffnungsschimmer; zusehends hatte er auch körperlich wie geistig abgenommen. In fieberhafter Erregung blätterte er in seinen älteren Kompositionen, mit zitternden Händen auf der Klaviatur sie verstümmelt wiedergebend, - herz- und ohrenzerreißend! Der herrliche Mann muß maßlos gelitten haben.“

Die in Schumanns Briefen vorkommenden Kompositionen von Brahms sind die Balladen op. 10, das Scherzo op. 4, die Sechs Gesänge op. 3, endlich die bereits gegen Clara wiederholt erwähnten Variationen in Fis-moll, op. 9. Die zehnte derselben (poco Adagio) enthält die „Erinnerung, von welcher Clara schrieb“, nämlich eine Erinnerung an jenes Thema von Clara Wieck, das Schumann seinen poetischen „Impromptus“, op. 5, zu Grunde gelegt hat. Neben Brahms war es Joachim, auf dessen schöpferische Begabung Schumann große Stücke hielt. Die von Schumann so warm belobten und schön charakterisierten Variationen von Joachim sind als op. 10 bei Breitkopf erschienen.

Die Klavierbegleitungen zu Paganinis Capriccios, von Schumann in Endenich niedergeschrieben, befinden sich als Manuskript im Besitz Joachims. „Sie sind,“ wie dieser mir schreibt, „ganz einfach harmonisch gehalten, ganz klar in der Schrift und logisch.“ Wir haben uns darunter keineswegs eine Fortsetzung der beiden Hefte „Studien nach Capriccios von Paganini für Klavier“ von Schumann, op. 9 und 10, zu denken, welche überwiegend freie, selbstständige Erfindung sind.
Jan Albert von Eycken (geboren 1822 in Holland), nach dem Schumann sich bei Joachim erkundigt, hat von 1854 bis zu seinem Tode (1868) als Organist an der reformierten Kirche in Elberfeld gewirkt. – Elisabeth Kulmann, deren Gedichte Schumann verlangt, stammte aus einer deutschen Familie im Elsaß, war 1808 in Petersburg geboren und starb daselbst schon im Jahre 1825. Schumann, der für ihre (von K. F. Großheinrich 1857 herausgegebenen) Gedichte eine schwärmerische Vorliebe empfand, hat von ihr in Düsseldorf „Mädchenlieder“ für zwei Sopranstimmen (op. 103) und „Sieben Lieder“ (op. 104) komponiert.

Das von Clara Schumann „im Original“ geschickte Gedicht von Friedrich Rückert war gleichsam ein Dank des Dichters für die von Robert und Clara Schumann gemeinsam herausgegebenen zwei Liederhefte (op. 37) aus Rückerts „Liebesfrühling“. Das wenig bekannte Gedicht darf wegen seiner intimen Beziehung auf Schumann und als ein Virtuosenstück Rückertscher Reimzunft hier wohl ein Plätzchen finden.

An Robert und Clara Schumann.

Lang ist’s, lang,
Seit ich meinen Liebesfrühling sang;
Aus Herzensdrang,
Wie er entsprang,
Verklang in Einsamkeit der Klang.

Zwanzig Jahr‘
Wurden’s, da hört‘ ich hier und dar
Der Vogelschar
Einen, der klar
Pfiff einen Ton, der dorther war.

Und nun gar
kommt im einundzwanzigsten Jahr
Ein Vogelpaar,
Macht er mir klar,
Daß nicht ein Ton verloren war.

Meine Lieder,
Singt ihr wieder,
Mein Empfinden
klingt ihr wieder,
Mein Gefühl
Beschwingt ihr wieder,
Mich, wie schön
Verjüngt ihr wieder:
Nehmt meinen Dank, wenn auch die Welt,
Wie mir einst, ihren vorbehält.


Briefe von Robert Schumann an Brahms.

Endenich, 27. November 1854.

Lieber!
Könnt‘ ich selbst zu Ihnen, Sie wieder zu sehen und zu hören und Ihre herrlichen Variationen, oder von meiner Clara, von deren wundervollem Vortrage mir Joachim geschrieben. Wie das Ganze so einzig abrundet, wie man Sie kennt in dem reichsten phantastischen Glanz und wieder in tiefer Kunst, wie ich Sie noch nicht kannte, verbunden, die Thema hie und da auftauchend und sehr geheim, dann so leidenschaftlich und innig. Das Thema dann wieder ganz verschwindend, und wie so herrlich der Schluß nach der vierzehnten, so kunstreichen in der Sekunde kanonisch geführten, die fünfzehnte in Ges-dur mit dem genialen, zweiten Teile und die letzte. Und dann hab‘ ich Ihnen, theurer Johannes, zu danken für alles Freundliche und Gütige, was Sie meiner Clara gethan; sie schreibt mir immer davon. Gestern hat Sie, wie Sie vielleicht wissen, Bände meiner Kompositionen und die Flegeljahre von Jean Paul zu meiner Freude geschickt. Nun hoffe ich doch auch von Ihnen, wie mir Ihre Handschrift ein Schatz ist, sie bald in anderer Weise zu sehen. Der Winter ist ziemlich lind. Sie kennen die Bonner Gegend, ich erfreue mich immer an Beethovens Statue und der reizenden Aussicht nach dem Siebengebirge. In Hannover sahen wir uns zum letzten Male. Schreiben Sie nur bald Ihrem verehrenden und liebenden
R. Schumann.


Endenich, 15. Dezember 1854.

Theurer Freund!
Könnt‘ ich zu Weihnachten zu euch! Einstweilen hab‘ ich durch meine herrliche Frau Ihr Bild empfangen, dein wohlbekanntes, und weiß die Stelle recht gut in meinem Zimmer, recht gut – unter dem Spiegel. Noch immer erhebe (ich mich) an deinen Variationen; viele möchte‘ ich von dir und meiner Clara hören; ich beherrsche sie nicht vollständig, namentlich die zweite, die vierte nicht im Tempo, die fünfte auch nicht; aber die achte (und die langsameren) und die neunte - - Eine Erinnerung, von der mir Clara schrieb, steht wohl S. 14, woraus ist sie? Aus einem Lied?`- und die zwölfte - - o könnt‘ ich von euch hören! Clara hat mir auch das Gedicht von Rückert an uns gesandt, das Original; das thut mir leid, obgleich es mich sehr erfreut, da sie es aus dem Album genommen hat. Sie schrieb mir auch von Balladen von dir; was ist denn von dir während unserer Trennung erschienen? Das Scherzo nicht? Gewiß. Wie würde es mich freuen, wenn ich von deinen neuen etwas kennen lernen. Schreibe mir bald wieder, lieber Johannes, und auch von unseren Freunden. Daß die in Hamburg sich an mich erinnert haben, hat mich sehr erfreut. Könnt‘ die Stadt, die ich eine zeitlang nach dem Brand gesehen, wieder sehen. Jetzt wirst du wohl in Düsseldorf wieder sein; seit Hannover haben wir uns nicht gesehen. Das waren wohl fröhliche Zeiten. Über meine Mädchen Marie, Elise, Julie und ihre bedeutenden Talente freue ich mich sehr gern. Hörst du sie manchmal? Lebe wohl, du treuer Freund; sprecht von mir und schreibt weiter.
Dein innig ergebender
Robert Schumann.


Endenich, 11. März 1855.

Teurer Freund!
Haben Sie Dank für die Sendung. Die Binde paßt gut. Und die „Signale“ haben mir viel Freude gemacht. Ich schrieb es schon an Clara und Joachim, daß mir das Alles neu war. Wie kommts, daß gerade der jetzige Jahrgang 1855 so unvollkommen ist? Nur die Nr. 6, 8, 10, 11 und eben bekomme durch Kreuzcouvert 12.

Ich habe ich Absicht, so bald als möglich an Dr. Härtel zu schreiben und ihm Einiges anzubieten. Ich weiß nicht genau, ob die Stücke für Violoncello und Pianoforte „Phantasiestücke“ heißen. Über Eines, das letzte, bin ich im Zaudern, obgleich es mir das Bedeutendste scheint; es geht aus D-dur, das erste Trio in A-dur mit wunderbaren Bässen (das Violoncell klang sehr gut, die Violine aber nicht). Ich wollte euch bitten, mir das Stück von Fuchs abschreiben zu lassen und mir schicken. Dann möchte ich Dr. Härtel wegen der Balladen angehen und ihm sagen nach der Wahrheit, in aller Bescheidenheit, wenn es noch Zeit ist. Das Scherzo war auch ein Stück, das gedruckt (werden) mußte, aber eines Ihrer schwersten im Tempo. Ich habe es neulich nach Genüge, wie ich wollte, ausgeführt. Und die Trios! Und der Schluß! Scherzo! Ist keine Sonate in Fis-moll mehr da, d. h. zum Leihen? Wollen Sie Clara an die Capricci von Paganini erinnern, daß sie mir sie bald sendet und, wenn ich bitten darf, Notenpapier (12liniges, eigentlich 12fünfliniges). Ich freue mich sehr darauf. Bei Simrock in Bonn ist jetzt der vierhändige Klavierauszug zur Festouvertüre über das Rheinweinlied erschienen. Meine Frau schrieb mir, daß sie vielleicht jetzt noch einen neuen Band binden könne. Nach der Opusnummer 123 müßte sie zum Anfang kommen; aber auf dem Rücken die Opuszahlen, die fortlaufen.

Der Spaziergang neulich war nicht weit, er hätte viel ferner sein müssen. Ganz fort von hier! Über ein Jahr, seit dem 4. März 1854 ganz dieselbe Lebensweise, und dieselbe Aussicht nach Bonn. Wo anders hin! Überlegt es euch! Benrat ist zu nah, aber Deutz vielleicht, oder Mühlheim.

Schreibt mir bald! Sie sagen, ich möchte mich Ihrer, lieber Johannes, manchmal erinnern – manchmal von Früh bis Abends. So, auf baldiges Wiedersehen Ihr R.


Endenich, März 1855.

Ihre zweite Sonate, Lieber, hat mich Ihnen wieder viel näher gebracht. Sie war mir ganz fremd; ich lebe in Ihrer Musik, daß ich sie vom Blatte halbweg gleich, einen Satz nach dem andern, spielen kann. Dem bring‘ ich Dankopfer. Gleich der Anfang, das pp., der ganze Satz – so gab es noch nie einen. Andante und diese Variationen und dieses Scherzo darauf, ganz anders, als in den anderen, und das Finale, das Sostenuto, die Musik zum Anfange des zweiten Teiles, das Animato und der Schluß -, ohne Weiteres einen Lorbeerkranz dem anderswo her kommenden Johannes. Und die Lieder, gleich das erste, das zweite schien ich zu kennen; aber das dritte – das hat (zum Anfang) eine Melodie, wo gute Mädchen schwärmen, und der herrliche Schluß. Das vierte ganz originell. Im fünften Musik so schön – wie das Gedicht. Das sechste von den anderen ganz verschieden. Die Melodie-Harmonie auf Rauschen, Wipfeln, das gefällt mir.

Nun haben Sie Dank für die Besorgungen, für die Capricci von Paganini und das Notenpapier. Einige (fünf) harmonisiert‘ ich schon. Es scheint aber die Arbeit schwerer, als meine freie Bearbeitung von früher. Der Grund ist, in der Violine liegt so oft der Baß nach seiner Weise. Jedenfalls würden meine älteren Piano-Solo-Arrangements mir die jetzige Arbeit sehr erleichtern. Kennen Sie, lieber Johannes, die Variationen für Pianoforte und Viola von Joachim genau? Haben Sie sie vielleicht gehört von Clara und Joachim? Das ist ein Werk, das neben seinen Ouvertüren, seinen Phantasiestücken für Violine und Pianoforte noch über die emporragt, durch die phantasierend-abwechselndsten Regionen sich fortschwingt. Der Viola, auch dem Pianoforte, sind Geheimnisse abgelauscht; gleich die erste Variation möchte ich von Joachim hören – welche Melodie! Wie anders die zweite, die Viola in tieferen Thorden. Die vierte wie ein Traum. In der fünften der Gegensatz – sehr ernst (zum Schlusse trefflicher Orgelpunkt). Merkwürdig die sechste durch das Thema im Baß; die anderen Stimmen spielen darinnen mit dem Anfange desselben Thema. Die neunte, die zehnte (Zigeuner- und Ungarncharakter, so national nur möglich sein kann) und die Schlußvariation vollenden das Werk zu einem der größten meisterhaften.

Zu den Signalen hab‘ ich gelesen, daß die städtische Verwaltung in Düsseldorf ein Konkurrenz-Ausschreiben nach einem neuen Musikdirektor gestellt. Wer könnte der sein? Sie nicht? Vielleicht hätte Verhulst Lust, wenn der Antrag ihm gestellt würde. Das sollte man thun.

Noch eine Bitte nach den Gedichten von Elisabeth Kulmann und nach einem Atlas; wenn ich nicht irre, hat Herr Schuberth von Hamburg vielleicht vor zwei Jahren zwei Atlas noch mit sehr vielen anderen Büchern als Geschenk zugesandt.
Lieber und verehrter Freund, Sie schreiben im letzten Briefe: „Sie wissen wohl, ein Dichter bittet nicht gern zu kargem Tische“. Wie meinst du denn das?
Auf baldiges Wiedersehen.
Robert


An Joseph Joachim in Hannover

Endenich, 10. März 1855.

Hochverehrter Meister!
Ihr Brief hat mich ganz freudig gestimmt, Ihre sehr großen Lücken in Ihrer künstlerischen Ausbildung und das sogenannte Violinen-Auge und die Anrede, nichts konnte mich mehr belustigen. Dann dachte ich nach: Hamlet-Ouvertüre – Heinrich-Ouvertüre – Lindenrauschen, Abendglocken, Balladen – Heft für Viola und Pianoforte – die merkwürdigsten Stücke, die Sie mit Clara in Hannover im Hotel einmal Abends spielten, und wie ich weiter nachsann, kam ich an diesen Briefanfang: Theurer Freund, hätt‘ ich doch die drei voll machen können! Reinick erzählte mir immer von dieser Stadt. Auch nach Berlin wäre ich gerne nachgeflogen. Johannes hat mir den vorigen Jahrgang der Signale gesandt zu meinem großen Vergnügen. Denn mir war Alles neu, was während vom 20. Feber geschehen. Und so ein musikalischer Winter und der folgende von 1854/55 gab noch nie; so ein Reisen, Fliegen von Stadt zu Stadt – Frau Schröder-Devrient, Jenny Lind, Clara, Wilhelmine Glauß, Therese Milanollo, Fräulein Agnes Bury, Fräulein Jenny Rey, J. Joachim, Bazzini, Ernst, Dieurtemps, die beiden Wieniawski, Jul. Schulhoff und als Komponist Rubinstein. Und was noch für eine große Masse Salon-Virtuosen und anderer bedeutenderer, wie H. v. Bülow.

Sehr gefreut hat’s mich, daß Reinecke als Musikdirektor nach Barmen gekommen. Barmen und Elberfeld sind zwei musikalische Städte. Wissen Sie vielleicht, ob Van Eycken in Elberfeld angestellt ist? Er spielt ganz herrlich; in Rotterdam hab‘ ich ihn gehört Fugen von Bach, auch BACH-Fugen, die erste und die letzte auf einer Orgel, die ihm würdig war. Nun schau‘ ich auf Sie aus; kommen Sie bald, wärs mit der Leuchte in der Hand. Das würde mich erfreuen. In Absicht hab‘ ich es, die Capricci von Paganini, und nicht auf canonisch-komplizierte Weise wie die A-moll-Variationen, sondern einfach zu harmonisieren, und deshalb an eine gewisse geliebte Frau geschrieben, die sie im Verschluß hat. Ich fürchte, sie sorgt, es würde mich vielleicht etwas anstrengen. Ich hab‘ schon viel bearbeitet, und es ist mir nicht möglich, eine Viertelstunde unthätig zu bleiben, und meine Clara sendet mir immer, daß ich mich geistig unterhalten kann.

So komm‘ ich tiefer in des Johannes Musik. Die erste Sonate als erstes erschienenes Werk war eines, wie es noch nicht vorkam, und alle vier Sätze ein Ganzes. So dringt man immer tiefer in die anderen Werke, wie in die Balladen, wie auch noch nie etwas da war. Wenn er nur, wie Sie, Verehrter, nur jetzt in die Massen träte, in Orchester und Chor. Das wäre herrlich.
Wir wollen, wie wir in Gedanken an welche, die uns in Weihestunden so oft ergreifen, gerade denken, uns für heute Lebewohl sagen – auf baldiges Wiedersehen.
Ihr sehr ergebener
R. Schumann.

*) Als authentisches Zeugnis zitiere ich einen mir vorliegenden ungedruckten Brief des Direktors der Heilanstalt, Dr. Peters, an Frau Clara Schumann:

Endenich, 1. April 1854.

Es freut mich, Ihnen mitteilen zu können, daß sich das bessere Befinden und ruhigere Verhalten Ihres Herrn Gemahls seit Montag gehalten hat. Noch immer sehr ruhebedürftig, brachte er den größten Teil des Tages, ausgenommen der Zeit, die er nach seinem Wunsche zum Spazierengehen verwendet, meist schlummernd auf dem Sofa, noch lieber auf dem Bette zu. Anfälle von Ängstlichkeit sind in dieser Periode gar nicht bemerkt worden, und haben sich ebensowenig die früheren Gehörstäuschungen eingestellt. Im Ganzen war er milde, freundlich, ziemlich unbefangen, aber kurz bei der Unterhaltung. Gewaltthätig gegen seinen Wärter, wie dies in der ersten Zeit wohl vorgekommen, ist er nicht gewesen, im Gegenteile zeigte er sich wohlwollend gegen denselben, sprach sein Bedauern aus, ihm früher diese Unruhe gemacht zu haben, und machte gestern, als er sich bei ihm und dem Datum erkundigte, einen Scherz in Bezug auf den 1. April. Auf seinen Spaziergängen sucht er häufig Veilchen. Sein Aussehen ist besser, Appetit und Schlaf sind sehr gut.“