Friederike Preiß: Der Prozeß.

DIE TONKUNST online / Ausgabe 0502 / 1. Februar 2005

Clara und Robert Schumanns Kontroverse mit Friedrich Wieck,
Frankfurt a.M. (Peter Lang) 2004

Friederike Preiß hat zwar dem vorliegenden Buch den für Literaturbegeisterte und Germanisten assoziationsbeladenen Titel «Der Prozeß» (Kafka 1925 erschienener berühmter Roman läßt grüßen) gegeben, inhaltlich jedoch betritt es neue Pfade: es enthält eine Menge Sprengstoff, wird doch die Quellenlage zu dem (den) Prozess(en) Schumann gegen Wieck so ausgewertet, dass Friedrich Wieck eigentlich mit einer weißen Weste dasteht, während Robert Schumann als berechnender, beinahe raffgieriger, mit der Wahrheit („ansteckende Krankheiten“, Vermögen) äußerst lasch umgehender, Zeugen manipulierender, mit einem machohaften Ehemodell ausgerüsteter Verlobter von Clara Wieck dasteht, die aber „keinesfalls Opfer oder lediglich ‚Gegenstand’ der Auseinandersetzung, sondern aktiv und entscheidend an der Klage gegen ihre Vater beteiligt“ war.

Nun hat bereits Joachim Fest 2003 in DIE ZEIT gestanden: „Wie niemand sonst als dem Biographen ist bewusst, dass alles historische Material, wie es die Quellen vor den Verfasser hinschütten, nur ein stummer, indolenter und allzu oft auf Irrwege führender Bestand ist, der unter Mühen zum Reden gebracht werden muss.

Was allenfalls zu erreichen ist, sind größere oder geringere Annäherungen.“, wem also die Ausführungen Friederike Preiß’ nicht „gefallen“, der muss ein neues Buch schreiben. Dies dürfte umso schwerer sein, als die Autorin mit immensem Fleiß die Prozessakten und die Dokumente im Umfeld dazu erforscht und außerdem historisch-juristisches Material dem Leser vorgestellt hat, um ihre Meinung stringent zu beweisen.


In sieben Kapitel, von „Konflikthintergrund: Die Situation vor Prozeßbeginn“ bis zu „Ergänzung des bestehenden Wieckbildes und Neubewertung der Position Friedrich Wiecks“, rollt Friederike Preiß das Geschehen in den Jahren 1839 bis 1841 auf. Nach dem Urteil des ersten Prozesses zieht Friedrike Preiß das Resümee: „

1. Sämtliche Ehekonsensbedingungen Friedrich Wiecks waren erfolgreich abgewehrt.

2. Es war zu keiner gütlichen Einigung mit Friedrich Wieck gekommen, vielmehr war die ehemals so stabile Beziehung zwischen Vater und Tochter erheblich gestört.

3. Schumann konnte Clara als Minderjährige heiraten.

4. Und schließlich hatte er seine Braut von ihrem ‚Kunstthron’ heruntergeholt, die nun bereit war, jegliche Ansprüche auf eine eigenständige Karriere aufzugeben.“


Die Akten des zweiten Prozesses („Injurialklage“) konnte auch Friederike Preiß nicht auffinden, aber sie trug aus Tagebuch, Briefen und anderen Dokumenten doch ein ziemlich eindeutiges Bild zusammen. „Der Prozeß endete im April 1841 mit einer Verurteilung Friedrich Wiecks zu 18 Tagen Gefängnis.“ Auch bei diesem Verfahren kommt Schumann sehr schlecht weg: „Nachdem er Clara bereits durch seine Suiziddrohung – zumindest mittelbar – in den ersten Prozeß getrieben hatte, zwang er sie durch die zweite Klage gegen Wieck – diesmal ohne Not – in eine Position, in der sie sich aufgrund ihrer nunmehrigen totalen Abhängigkeit von Robert nicht mehr vor den Vater stellen konnte, ohne ihre zukünftige Ehe zu gefährden.“

Ganz im Gegensatz hierzu testiert sie Friedrich Wieck für die Folgezeit: „Die Tatsache, dass Wieck trotz der erheblichen Belastungen durch die gerichtliche Auseinandersetzung als erster wieder in der Lage war, Kontakt zum Ehepaar Schumann aufzunehmen, und Clara Zeit seines Lebens tatkräftig unterstützte, kennzeichnen seine außergewöhnliche Persönlichkeit.“ Ihr feministisch angehauchtes Credo offenbart Friederike Preiß im Schlusssatz: „Der Fall Wieck zeigt, dass Förderer der Gleichstellung durchaus nicht immer Frauen, deren Gegner durchaus nicht immer Männer sind.“

Die interessante Arbeit, die tatsächlich ein Kapitel in den Biographien der drei Personen Robert und Clara Schumann und Friedrich Wieck neu schreibt, hat nur zwei kleine Mängel: Da sie thematisch vorgeht, sind die vielen Querverweise zu anderen Kapiteln schon lästig; außerdem „stört“ manchmal die beinah juristisch anmutende Sprache Friederike Preiß’ die Leselust.

[Wolfgang Seibold]

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